DIE GESELLSCHAFTSKRITIK : Ja nichts raushängen lassen
WAS SAGT UNS DAS? Frauen sind selber schuld, wenn sie im Beruf nicht ernst genommen werden, erklärt das „Manager Magazin“, Abteilung Stilberatung
Liebe Frau XY, fühlen Sie sich im Job nicht ernst genommen? Hat Ihr Chef Sie in der Konferenz übergangen? Sind Sie nicht zu Wort gekommen oder haben schon wieder die Beförderung nicht bekommen, sondern ein männlicher Kollege?
Tja. Dann sind Sie vielleicht einfach eine dumme Frau. Oder eine, die sich nicht gebückt hat, bevor sie das Haus verließ. Nein, eine, die sich nicht vorgebeugt hat. Moment: eine, die nicht vorgebeugt hat. So. Genau. (Entschuldigung, Wortspiele sind etwas schwierig.)
Im Manager Magazin klärte uns letzte Woche die Stilberaterin Katharina Starlay in ihrer Ratgeberkolumne „Wie viel Dekolleté ist zu viel?“ auf: „Eine kluge Frau beugt (sich) also vor, bevor sie morgens das Haus verlässt.“ Diesen Satz muss man nachwirken lassen. Er ist grandios, er bringt das ganze Dilemma auf den Punkt: Die Frau ist verantwortlich für das, was ihr passiert, ihre Selbstpräsentation ist verantwortlich für eine Geschlechterhierarchie, die es ihr schwer macht, am Konferenztisch mit dem Old-Boys-Club ernst genommen zu werden.
Dabei ist es aber nicht so, dass Frauen hinter den Herd sollen. Starlay erklärt es: „Obwohl Frauen mit ihren Qualitäten im Geschäftsleben absolut gefragt sind, sollten physische und fachliche Vorzüge sauber getrennt werden: Die einen lenken nämlich nicht nur von den anderen ab, sondern sie kontaminieren regelrecht die vermutete Kompetenz, noch bevor ein Wort im Geschäftskontakt gesprochen wurde.“
Oder kürzer gesagt: Zeigt frau einen Zentimeter zu viel Haut, „kontaminiert“ sie den Geschäftskontakt, macht sie den Mann, den heterosexuellen Mann, zur Maschine („wenn aber das weiche Gewebe sichtbar wird, berührt der Anblick den sinnlichen Reiz“). Früher hat es die Heteromänner reihenweise umgehauen, wenn sie eine Fessel erblickten. So ändern sich die Zeiten. Man kann die Dekolletémessung getrost auf die seit den Siebzigern verbreitete Rockskala übertragen: Die geht von „arschbackenkurz = Nutte“ über „asking for it, kokett, langweilig“ bis zu „über knielang = verklemmt“. Jeder Übergriff liegt in der Kleidung der Frau verborgen.
Der Schritt von der Heiligen zur Hure ist kurz – und damit das so bleibt, wird die Frau beobachtet, ihre Erscheinung gemaßregelt, ihr Stil reglementiert. SVO