: Das Ende der Isolation
NEUES KUBA Wie Kubas Musikszene von der neuen Reisefreiheit profitiert – und wie eine Rum-Marke dabei als Kultursponsor für Newcomer wirkt
Ein Wohnsitz im Ausland ist für Künstler aus Kuba noch immer karrierefördernd – so wie beim schwer angesagten Schwestern-Duo Ibéyi aus Paris, das trippige Beats mit Santería-Percussion mischt, oder bei der Geigerin und Sängerin Yilian Canizares, die in Lausanne lebt und Son, Klassik und Jazz verbindet.
Dabei findet auf Kuba derzeit ein bemerkenswerter Umbruch statt. Denn mit den gelockerten Gesetzen ist es seit Anfang 2013 leichter geworden, die Welt zu bereisen, was gerade viele junge Musiker mit wachsender Selbstverständlichkeit tun. Zugleich sind etliche Musiker, die sich im Ausland etablieren konnten, auf die Insel zurückgekehrt, darunter der Salsero Isaac Delgado und der Salsa-Pop-Sänger Raúl Paz.
Aber auch den Protegés der kubanischen Musik erleichtern die neuen Bestimmungen die Arbeit. Die Saxofonistin Jane Bunnett etwa trägt schon seit fast 25 Jahren mit ihren diversen Musik-Joint-Ventures dazu bei, junge Talente ins Rampenlicht zu rücken.
Ihr jüngstes Bandprojekt Maqueque, mit dem die Kanadierin gerade auf Tour ist, bündelt fünf exzellente, zwischen Soul, afrokubanischer Folklore und Jazz agierende Musikerinnen aus Kuba. Mit dabei sind die derzeit jüngste Schlagzeugerin der Insel, Yissy García, sowie die Sängerin Daymé Arocena – die Afrokubanerin nimmt es mit ihren 23 Jahren locker mit so mancher gestandenen Soul-Kollegin auf.
Mit ihren starken, in der Yoruba-Tradition verwurzelten Gesängen betörte Daymé Arocena auch Gilles Peterson, der ihr Debüt prompt unter dem zuversichtlichen Titel „Nueva Era“ (Neue Ära) auf seinem Brownswood-Label veröffentlichte. Unterstützt von der Plattform „Havana Cultura“, die von der bekannten Rum-Marke gesponsert wird, schmiedet der Londoner DJ und Trendsetter seit 2009 diverse Allianzen mit innovativen Künstlern aus Kuba. Gilles Peterson ist damit quasi das aktuelle Pendant zu Ry Cooder, der einst die „Buena Vista“-Legenden aufspürte. Und wie dieser ist er auf Orientierungshilfe vor Ort angewiesen. Peterson ließ sich für seine Havana-Cultura-Sessions zunächst vor allem von dem Pianisten Roberto Fonseca helfen, einst jüngstes Mitglied der Buena-Vista-Riege, auf nunmehr vier Alben lässt sich das Resultat seiner Erkundungen nachverfolgen.
Eine der ersten Peterson-Offenbarungen war Danay Suárez: eine allseits respektierte Rapperin, die für kubanische Verhältnisse spät zur Musik geriet und durch ihren Facettenreichtum besticht. Derzeit bastelt die 30-jährige Autodidaktin an ihrem zweiten Longplayer – in den USA, wie ihre Facebook-Botschaften indirekt verraten. Denn bei aller Weltoffenheit halten viele Künstler ihre Kontakte mit dem Klassenfeind lieber geheim und ihre „Cubanidad“ demonstrativ hoch.
Zu dieser Vorsicht passt auch der deutliche Hang zu eher unverfänglichen, introspektiveren Songtexten, der selbst bei noch so beherzten und aufgeweckten Musikern anzutreffen ist – sieht man mal von einigen Rappern und Ausnahmen wie dem Sänger der Band „Porno para Ricardo“, Kubas Enfant Terrible Gorki Ávila, ab. Das hat aber womöglich weniger mit Scheu vor Konflikten zu tun als mit dem Wunsch, seine Zuhörer und sich selbst lieber bei Laune zu halten, statt die Musik mit zusätzlichem Gewicht zu befrachten. KATRIN WILKE
■ Yilian Canizares: Invocacion (Naive); Daymé Arocena: Nueva Era (Brownswood, erscheint im Juni). www.havana-cultura.com