piwik no script img

Archiv-Artikel

Mit Poesie gegen den Hass

HOMMAGE Die franko-algerische Sängerin Souad Massi erinnert an die liberalen arabischen Dichter und Denker der Vergangenheit und der Gegenwart

Durch den Bürgerkrieg in den Neunzigerjahren war die Situation in Algier unerträglich geworden, mit Ausgangssperren, Polizeikontrollen und der ständigen Gefahr eines Anschlags. Wenn Souad Massi mit kurzen Haaren und in Jeans zu Gitarrenstunden oder Bandproben eilte, lief sie stets Gefahr, zwischen die Fronten zu geraten. Nach einem Auftritt auf einem Festival in Paris blieb sie 1999 einfach kurzerhand dort, ergatterte einen Plattenvertrag und wurde mit fein gesponnenen Folkballaden quasi über Nacht berühmt.

Heute ärgert sich Souad Massi, dass ihre Region in Europa häufig nur in Verbindung mit Terror und Gewalt wahrgenommen wird. Ihr Album „El Mutakallimun“, zu Deutsch „Die Meister der Debatte“, ist deshalb eine Hommage an die Dichter und Denker, die sich im Andalusien des Mittelalters für Toleranz und gegenseitigen Respekt eingesetzt haben, erinnert aber auch an die liberalen Stimmen der Gegenwart. Massi hat dafür arabische Poeme vertont, von klassischen Dichtern aus dem 6. Jahrhundert bis zu modernen Autoren wie dem Iraker Ahmad Matar, der seit Jahrzehnten im Exil in London lebt und mit bitterem Sarkasmus mit den Despoten der Region abrechnet. „Seine zarten Verse haben keine Grenzen“, schwärmt sie für den 60-jährigen Poeten. „Ich hatte Lust, diese Kostbarkeiten der arabischen Literatur und Kunst zu teilen.“

Massi kleidet diese Poeme in frischen Folkpop, mal mit Reggaerhythmen, mal mit Countryrock oder andalusischem Flamencoflair kombiniert. Ein aufwändiges Booklet mit kunstvollen Kalligrafien rundet das Konzeptalbum ab. Dass es als aktueller Kommentar zur aufgeheizten Stimmung in Frankreich nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo oder zur Zerstörungswut der IS-Milizen im Nahen Osten gelesen werden kann, ist reiner Zufall. „Es macht mich traurig zu sehen, wie das kulturelle Erbe in Syrien und dem Irak zerstört wird“, sagt sie. Doch sie ist überzeugt, dass das letzte Kapitel des arabischen Frühlings noch nicht geschrieben ist. „Die Lage ist in der Schwebe, die Leute wollen einen Wandel. Und es gibt noch immer junge Leute, die für die Meinungsfreiheit kämpfen.“ Zum Glück habe es zu allen Zeiten mutige Dichter, Schriftsteller, Essayisten, Journalisten gegeben, die sich gegen die herrschenden Mächte gestellt haben: So wie den tunesischen Nationaldichter Abou El Kacem El Chabbi, dessen „Botschaft an die Tyrannen dieser Welt“ sie vertont hat. „Ich wollte, dass diesen Leuten Gerechtigkeit widerfährt“, so Massi.

Zugleich ist sie überzeugt, dass der Kampf für Freiheit und Demokratie nur mit Worten geführt werden kann. „Waffen waren noch nie die Lösung. Wir haben das in Algerien erlebt“, sagt sie, Unter dem seit 1999 regierenden Präsidenten Abdelasis Bouteflika etwas Ruhe eingekehrt. „Bei aller Kritik – er hat dem Land Stabilität gebracht“, verteidigt sie das greise Aushängeschild des Militärregimes. „Er hat eine Amnestie für Islamisten durchgesetzt. Das war die einzige Lösung, auch wenn sie sehr schwer fiel.“

Den radikalen Islamismus in ihrer Region sieht sie als „Resultat einer enormen Frustration“. Die Menschen seien unter brutalen Diktaturen aufgewachsen. „Für sie ist das ein Mittel, um Rache zu nehmen.“ In Europa sei die Radikalisierung dagegen das Resultat einer erfahrenen Ablehnung. „Manche Einwandererkinder finden ihren Platz in der Gesellschaft nicht, es fehlt ihnen an Selbstwertgefühl.“ Darum könnten sie leicht durch Hassprediger manipuliert werden. „Wir brauchen mehr Sozialarbeit in den Vierteln, um diese Jugendlichen und Schüler aufzufangen und diesen Sekten den Boden zu entziehen“, findet Massi.

Die europäische Politik sieht sie kritisch. „Europa verkauft Waffen an Länder wie Ägypten“, kritisiert Souad Massi. Der Westen mache sich unglaubwürdig. „Man kann einen Regierungschef wie Netanjahu doch nicht zum Wahlsieg beglückwünschen nach dem, was in Gaza passiert ist.“ In Israel würde sie deshalb nicht auftreten. „Das würde so aussehen, als ob ich mit der Politik der Regierung dort kein Problem habe.“ Und nicht nur dort: „Auch in Saudi-Arabien oder Katar würde ich nicht auftreten“, sagt sie bestimmt.

■ Souad Massi: „El Mutakallimun“ (Wrasse/Harmonia Mundi)