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Archiv-Artikel

Die Dünensurfrockstars

IGNORANZ Weltweit wird Noura Mint Seymali aus Mauretanien als Newcomerin der Saison gefeiert. Nur in Deutschland (noch) nicht. Warum ist das so? Über den Kanon des weißen Mannes: Ein Stoßseufzer ihres Konzertagenten

VON BERTHOLD SELIGER

Ich könnte endlos Beispiele erzählen aus dem Jammertal, mit dem man zu tun hat, wenn man Konzerte von Bands und Künstlern präsentiert, die (noch) nicht im Mainstream angekommen sind. Künstler, die man aufbauen muss, für die man das Publikum erst begeistern muss.

Doch von Kulturämtern oder subventionierten Kulturzentren höre ich, wenn ich Künstler wie Noura Mint Seymali anbiete, Argumente wie „kann man nicht kostendeckend veranstalten“ (wofür aber gibt es Subventionen?!?) oder „da kommt ja niemand“. Oder: „Ich habe schon vor einiger Zeit aufgehört, traditionelle Weltmusik zu präsentieren, ich bekomme einfach das entsprechende Publikum nicht in den Laden.“

Das ist längst ein grundsätzliches Problem, das praktisch die ganze sogenannte Weltmusik-Szene, aber auch viele Sparten der „Underground“-, Jazz- oder anderer weniger marktgerechter Kulturszenen angeht. Doch es ist auch ein sehr deutsches Problem. Ein Problem der auf ihre eigenen, sorgsam gehegten kleinen Vorgärten bedachten Veranstalter und Medien, die noch alles dafür getan haben, jedes kulturelle Phänomen eifrigst an den Boden einer der von den Kulturfunktionären bereitgestellten Schubladen festzunageln.

In der gesamten westlichen Welt – außer in Deutschland – berichten die renommiertesten Musikzeitschriften längst ausführlich und gleichberechtigt von sogenannter „Weltmusik“. Noura Mint Seymalis Debütalbum wurde in der US-amerikanischen Presse (von New York Times und Boston Globe bis Noisey) ebenso gefeiert wie in Großbritannien (von fRoots und Songlines bis Guardian und Evening Standard), es tauchte in den Jahresbestenlisten 2014 von Uncut auf oder von NPR und als eines der besten Alben von 2014 natürlich in einer der besten Kulturzeitschriften Europas, im französischen Les Inrockuptibles.

„Seymali und ihre Band sind tadellos, ein Aufruhr aus traditioneller mauretanischer Musik und psychedelischem Rock, voll pulsierender Off-Rhythmen, mutiger, fließender Vocals und flinker, phaser-lastiger Schwertschläge des Gitarristen Jeiche Ould Chighaly“, schwärmt das britische Elektronik-Magazin The Wire in seiner aktuellen Ausgabe vom Konzert: „Es bleibt Seymali überlassen, die Tanzfläche in Brand zu setzen – und Dutzende von Fremden sogar dazu zu inspirieren, sich die Hände zu reichen und im Kreis herum zu hüpfen, was zu einigen der lebensbejahendsten Szenen führt, die jemals ein Festival für experimentelle Musik geziert haben.“

Und nun die Frage: Glauben Sie, das Album von Noura Mint Seymali sei auch nur in einer einzigen nennenswerten deutschen Musikzeitschrift rezensiert worden? In auch nur einem einzigen Musik- oder Pop-Feuilleton einer einzigen deutschen Tageszeitung? Es gab eine Rezension auf Spiegel Online und eine bei Funkhaus Europa (WDR), und das war’s auch schon.

Dagegen werden gerne altbackene Vorurteile und Scherze über „Weltmusik“ gemacht, wie im Februar auf Spiegel Online: „Aber hält nun auch die Musik dieser sehr guten Geschichte stand, ohne allzu offensichtlich in die Exotik-Falle zu rennen? Nichts ist ja schlimmer als das Label „Weltmusik“: Da denkt man sofort an Dia-Abende, Rastafrisuren und bunte Ponchos – widerlich!“ Steht da so. Und das ist schon sehr typisch fürs Pegida-Land, diese unterschwellige, nun ja, nennen wir das Phänomen großzügigerweise mal nicht „Rassismus“, sondern „Ignoranz gegenüber der Avantgarde, die aus anderen Kulturen als der abendländischen kommt“.

Die mediale Situation für „Weltmusik“ (aber auch für jedwede „abwegige“, subkulturelle Musik) hierzulande ist schlicht ein Trauerspiel. Die Leute vom Label von Noura Mint Seymali erzählten mir gequält, dass sie nicht einmal wüssten, in welchen deutschen Medien sie Anzeigen schalten sollten, denn diese Musik komme in Deutschland ja praktisch nicht vor.

Natürlich hat diese Haltung der deutschen Medien, der Popzeitschriften und der selbsternannten „Qualitätspresse“ etwas mit der Narration der Popkultur als der des weißen Mannes zu tun. Denn die Deutungshoheit über Popmusik ist in der Hand des weißen Mannes, und die weißen Männer tun wirklich alles dafür, dass das auch so bleibt. Wir haben es hier mit einem Phänomen zu tun, das man eigentlich nur als „subtil rassistisch“, mindestens aber als „neokolonialistisch“ bezeichnen kann. Was interessiert uns denn Musik aus Mauretanien? Maurewas?!? Wo liegt das denn überhaupt? Sicher „irgendwo da unten“. Generell gilt das, was Reich-Ranicki 1992 mal im Gespräch mit Peter von Matt über afrikanische Literatur gesagt hat – „Ganz bestimmt schreibe ich nicht über afrikanische Literatur, davon verstehe ich nichts. Mir ist die afrikanische Welt, die afrikanische Problematik, Kunst und Literatur fremd“ –, bis heute auch für die deutsche Popkritik. Nur, dass es wohl kein Gebiet der Kultur gibt, in dem so viele spannende musikalische Entwicklungen und Neuerungen von Afrika ausgehen würden, wie die Musik. Insofern ist diese ignorante Haltung gegenüber afrikanischer Musik eben sehr speziell, und sie muss sehr spezielle Gründe haben.

Die Musiker selbst sind in den Köpfen seit jeher frei, ihnen ist egal, ob Musik aus Indien, Marokko oder Mali kommt, solange sie interessant ist. Die Stones besuchten in den 1960er Jahren die legendären Master Musicians von Jajouka, die Beatles setzten sich mit indischer Musik auseinander, und als ich 2005 die gemeinsame Tournee von Tortoise und Konono No. 1 veranstaltet habe (die Teilnahme der Musiker aus dem Kongo scheiterte dann an der fehlenden Visaerteilung durch europäische Behörden …), war in London natürlich die legendäre Royal Festival Hall der Veranstalter, weil dort eben die verschiedenen Formen von Zeitkultur gleichberechtigt nebeneinander stehen, die Klassik ebenso wie Pop und World.

Und beim ersten großen Festival überhaupt, dem legendären Monterey Pop 1967, traten nicht nur Jimi Hendrix, The Who, Janis Joplin oder die Grateful Dead auf, sondern spielte ein gewisser Ravi Shankar auch auf der Hauptbühne eine Stunde lang indische Ragas. Stellen Sie sich so eine Offenheit mal bei einem Festival wie Rock am Ring oder dem Hurricane vor. Doch Monterey Pop wurde nicht von einem Großkonzern, sondern von den Musikern selbst veranstaltet.

Das Interesse von Popmusikern wie Peter Gabriel (der das RealWorld-Label gegründet hat), David Byrne (Luaka Bop) oder Damon Albarn (aktuell „Africa Express“) an „Weltmusik“ ist legendär. Chris Eckman von den Walkabouts leitet mittlerweile eines der europaweit führenden Labels für Weltmusik, Glitterbeat, und ich habe mal ein ganzes Abendessen lang mit Henry Rollins über afrikanische Musik gesprochen und habe in meinem Leben wenige Menschen kennengelernt, die mehr Ahnung davon gehabt hätten als Rollins. Und einer der wichtigsten deutschen Musiker, Mark Ernestus, produziert regelmäßig afrikanische Tracks und Alben auf seinem eigenen Label.

Natürlich wird eine Noura Mint Seymali auch in Deutschland zu sehen sein, eben weil es ein paar Musikverrückte in Berlin, in Rudolstadt oder beim hervorragenden „Fusion“-Festival gibt – aber das sind die Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Und so werden Sie die große Noura Mint Seymali diesen Sommer vor allem im Ausland bestaunen dürfen.

Bei ihrer letzten London-Show war übrigens auch Damon Albarn (Blur), zusammen mit zwei Leuten von Massive Attack, und er hat Noura eingeladen, an seinem „Africa Express“ in Roskilde teilzunehmen (wo Noura ohnedies mit ihrer eigenen Show gebucht ist), und es wird wohl einen gemeinsamen Track mit Massive Attack geben, der in Roskilde uraufgeführt werden wird.

Wollen wir wetten, dass dann auch die hiesige Pop-Journaille plötzlich Noura Mint Seymali zur Kenntnis nehmen wird?

■ Berthold Seliger ist Autor und Konzertagent und lebt in Berlin. 2013 erschien „Das Geschäft mit der Musik – ein Insiderbericht“. Im Juni erscheint sein Buch „I Have A Stream – Für die Abschaffung des gebührenfinanzierten Staatsfernsehens“ (beide Edition Tiamat)