piwik no script img

Archiv-Artikel

Hitze, Rauch, Biss

STREETFOOD Der Straßenverkauf von Essen ist in Buenos Aires reglementiert. Eine Imbisswüste, wenn da nicht das Choripán wäre. Warum für die Wurst im Brot die Gesetze nicht gelten

Homefood: Eintopf „Locro“

Zutaten für 6 bis 8 Personen: 40 ml Maisöl 200 g Schweinespeck 150 g Rinderbrust 200 g Schweinefüßchen 3 Chorizos aus Schwein 3 rote Chorizos mit Paprika 350 g Rinderpansen 600 g Maismehl 200 g weiche Weiße Bohnen 400 g Kürbis 1 halber Bund Frühlingszwiebeln 500 ml Gemüsebrühe Salz, süßer Paprika, Kreuzkümmel, gemahlener weißer Pfeffer, Cayennepfeffer Scharfes Öl Am 25. Mai wird in vielen argentinischen Haushalten Locro gegessen zur Erinnerung an die Mairevolution 1810, den Beginn der Los- lösung von Spanien. Die Fleischzutaten in Würfel schneiden und kurz in Öl anbraten. Mit Brühe ablöschen und das geschnittene Gemüse dazugeben. Nach Geschmack würzen und salzen. Drei Stunden lang auf kleiner Flamme köcheln lassen.

AUS BUENOS AIRES JÜRGEN VOGT

Seit 14 Jahren betreibt Alfredo Simone einen Stehgrill: „Nuestra Parilla‘“ im Stadtteil San Telmo von Buenos Aires. „Ein Grill ohne Chorizo läuft nicht“, sagt er. Chorizo, das ist eine große Grillwurst. Und wenn diese gut gegrillt der Länge nach aufgeschnitten in ein Brot gepackt wird, dann wird daraus das Choripán.

Wer möchte, streicht sich darauf noch eine pikante Marinade aus Olivenöl, Knoblauch und vielen verschiedenen Kräutern. Sonst nichts, schon gar nicht Senf oder Ketchup. Unter der Woche verkauft Simone täglich bis zu 90 Choripanes, an Sonntagen können es schon mal 250 werden. Dann nämlich, wenn der legendäre Trödel- und Antiquitätenmarkt gleich um die Ecke auf der Plaza Dorrego die TouristInnen anzieht.

Die Sehnsucht nach Pampa

Trotzdem, Buenos Aires ist eine Imbisswüste. Von der Dichte der Wurst-, Döner- oder Asiabuden in ihrer Partnerstadt Berlin können die HafenstädterInnen am Río de la Plata nur träumen. Verantwortlich ist dafür in erster Linie die Gesetzeslage. Im Stadtstaat Buenos Aires ist lediglich der Straßenverkauf von abgepackten Produkten erlaubt. Ausgenommen sind nur Süßigkeiten, wie beispielsweise die karamell-gebrannten Erdnüsse der fliegenden Händler. Und alles, was vom Grill kommt.

Schließlich ist Grillen in Argentinien eine Selbstverständlichkeit. Da schimmert bei vielen die Sehnsucht nach dem Gaucho durch, der frei durch die Pampa reitet und sich bei Bedarf ein Stück Fleisch an einem stehenden Kreuzspieß am Lagerfeuer brutzelt. Asado heißt hierzulande der Vorgang, der Grill selbst ist die Parilla. Parilla ist auch die Bezeichnung für die vielen Grillrestaurants oder Stehgrills, die es überall in der Stadt gibt.

Auf die Parilla kommt vor allem Rind, und von dem so ziemlich alles: Mollejas (Bries), Riñones (Nieren) und Chinchulines (sauber geputzte Därme), Asado de Tira (Rippchen), ein Bife de Lomo (Filetsteak) oder ein Bife de Chorizo (Rumpsteak). Sehr beliebt ist zudem das Vacío, ein zarter Fleischlappen mit einer Unterseite aus Fett und Bindegewebe. Und eben die Chorizo.

Wer das nicht mag, muss in Buenos Aires werktags dennoch keinen Kohldampf schieben. Eine Pizzeria, die auch Viertel- oder halbe Pizzen verkauft, ist leicht zu finden. Zudem haben sich in den vergangenen Jahren Buffetrestaurants etabliert, die vor allem Fleischloses zum einheitlichen Kilopreis anbieten, selbstverständlich auch „to go“.

Aber nach Feierabend und an Wochenenden – wenn die vielen Angestellten nach der Arbeit aus dem Zentrum ziehen – wird’s schwierig bis trostlos. Wenn da nicht das Choripán wäre. 50 Prozent Schwein, 50 Prozent Rind. „Nein, viel Fett ist nicht drin“, wehrt Alfredo ab. Wäre alles vom Schwein, würde die Wurst auf dem Grill eingehen. Seine Chorizos bekommt er direkt von Schlachthof. Am Ende wird sie aufgeschnitten und bedeckt wie ein Schmetterling das Brot. Knusprig müsse es sein, sagt er.

Vorm Fußballstadion, beim Rockkonzert, bei den Karnevalsumzügen, immer ziehen die Schwaden der gerillten Chorizos durch die Lüfte. Selbst die Politik kommt nicht ohne das Choripán aus. Hartnäckig hält sich das Vorurteil, dass zu den Aufmärschen der Peronisten nur deshalb so viele Menschen kommen, weil es Choripán und Rotwein gratis gibt. „Wenn es wieder heißt, ihr seid nur wegen einem Choripán gekommen, dann sagt, ihr seid wegen den Forderungen nach einer Kanalisation und nach Arbeitsplätzen hier“, sagte Präsidentin Cristina Kirchner, ebenfalls Mitglied der peronistischen Partei, erst Ende März wieder, bei der Einweihung eines Wasserversorgungsanlage. Der Duft gerillter Chorizos lag dennoch in der Luft.

Gleich neben Alfredos „Nuestra Parilla“ ist der Eingang zur Markthalle Mercado San Telmo, die sich über einen ganzen Häuserblock erstreckt. Unter ihren eisernen Arkaden breiten sich die Stände der Antiquitätenhändler aus, doch die Auslagen der Gemüsehändler, Fleischer und Gewürzstände trotzen noch immer ihrem Vormarsch.

„Stand 54“ steht auf dem Schild. Seit über 50 Jahren hat Fleischer Ángel Arribas ihn. „Wir machen die Chorizos selbst“, sagt er nicht ohne Stolz. „Da stehen die Maschinen.“ Sein Zeigefinger verweist auf den Fleischwolf und den Wurstfüller. In der Woche verkauft er rund 100 Kilo. Was drin ist? „Die Gewürzmischung ist das Geheimnis.“ Da habe jeder seine eigene Zauberformel. Salz, Pfeffer, Paprika, Knoblauch, etwas Cayennepfeffer, „der Rest wird nicht verraten“, mauert Ángel.

Nur ein Tipp zum Grillen ist ihm noch zu entlocken: „Die Chorizo stichst du ein, dann legst du sie eine halbe Stunde ins Wasser, damit der Naturdarm etwas durchzieht. So platzt er auf dem Grill nicht auf. Dann bei nicht so starker Hitze, halbe Stunde, Stunde grillen, aber das siehst du selbst.“

Ein paar Kilometer weiter nördlich, wenn der Wind landeinwärts bläst, ziehen die Chorizo-Rauchschwaden über das Rollfeld des Stadtflughafens von Buenos Aires. Die Lande- und Startbahnen des Aeroparque liegen unmittelbar am Ufer des Río de la Plata. In konkurrenzbedingten Abständen reihen sich die Grillbuden die breite Costanera entlang, die vielbefahrenen Straße zwischen Fluss und Flughafen.

Juan dreht seine Chorizos auf dem Grillrost. Ja die Genehmigung für eine Grillbude sei schwierig zu bekommen, sagt er. Offen bleibt, ob er sie besitzt oder nicht. Seine Kunden sind vor allem Taxifahrer. Schon wieder hält eines der insgesamt 40.000 gelb-schwarzen Autos an. „Juan, gib mir bitte ein Choripán.“ Stammgast Miguel Marus hat wenig Zeit. In zehn Minuten muss er gegenüber einen ankommenden Fluggast abholen. „Juan hat eigentlich immer ein Choripán schnell fertig“, sagt der Taxifahrer. Seine Frau werde wieder schimpfen, meint er noch, bevor er kräftig zubeißt. „Das ist nichts für Menschen mit hohen Cholesterinwerten.“

Nur Zucker und Fett

Mag sein, dass sich die Gesetzeslage für den Straßenverkauf bald ändert und in der Imbisswüste Buenos Aires weitere Oasen entstehen. Die Lobbyisten arbeiten jedenfalls kräftig darauf hin. Ihr Argument: Die Hälfte der Kinder in Buenos Aires hat Übergewicht. Mitschuld daran trage vor allem, dass es für den schnellen und preiswerten Verzehr an der Straßenecke nur Zucker- und Fetthaltiges gebe.

Sogenannte Food Trucks sollen mit frischen und gesunden Angeboten Abhilfe schaffen, meint zumindest die Asociación Argentina de Food Trucks. Eine Flotte von 30 entsprechend umgebauten Fahrzeugen steht schon bereit, eine richtige Konkurrenz zu den Stehgrills sind diese jedoch noch nicht. Bisher dürfen sie nur bei Privatveranstaltungen vorfahren.

Aber Vorsicht ist geboten. Bisher reicht das Angebot der Food Trucks oftmals auch nur von Pizza über Würstchen bis Crêpes. Gesünder als das Choripán ist das nicht.

Die Essecke: Unsere KorrespondentInnen erzählen hier jeden Monat, was man in ihren Ländern auf der Straße isst. Jörn Kabisch spricht mit Praktikern der Küche. Sarah Wiener komponiert aus einer Zutat drei Gerichte. Philipp Maußhardt schreibt über seinen offenen Sonntagstisch.