: „Schlecht getarnte Pädogruppe“
GRÜNE Eine Kommission der Partei legt den Bericht zur Aufarbeitung der Haltung zu Pädophilie und sexualisierter Gewalt gegen Kinder vor. Die taz druckt Auszüge
Nach der Gründung der Alternativen Liste für Demokratie und Umweltschutz am 5. Oktober 1978 in Berlin entstand […] im April 1979 innerhalb der Partei eine Interessenvertretung schwuler AL-Mitglieder – der Bereich Schwule. Regelmäßige Treffen fanden im Kreuzberger Café 18 (Graefestraße 18) statt. Die Mitglieder des Bereichs, in dem auch Personen mitwirkten, die der AL nicht angehörten, arbeiteten in dieser Zeit am Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes, das gegen die rechtliche und gesellschaftliche Diskriminierung Homosexueller gerichtet war.
Neben der Abschaffung des Paragrafen 175 StGB (Homosexuelle Handlungen) formulierte der Bereich Schwule bereits kurz nach seiner Gründung die Forderung nach Streichung des § 176 StGB (Sexueller Missbrauch von Kindern). […]
Im Vorfeld der vorgezogenen Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 10. Mai 1981 wurden die innerparteilichen Auseinandersetzungen um das Sexualstrafrecht und Pädophilie fortgesetzt. Das Wahlprogramm 1981 forderte letztendlich die Streichung der §§ 174, 175, 176, 180 Abs. 1, 183a, StGB. Diese Paragrafen würden Kinder, Jugendliche und Erwachsene in der freien Entfaltung ihrer Sexualität beschränken, und deshalb sollten sexuelle Beziehungen auf freiwilliger Basis nicht bestraft werden. In Klammern zeugte neuerlich eine Anmerkung von den innerparteilichen Auseinandersetzungen um das Thema: „(Die Frage der Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern – Pädophilie – ist in der AL umstritten und wurde auf der Programm-Mitgliederversammlung nicht abgestimmt)“.
Einzug ins Parlament
Nach dem Einzug der Alternativen Liste in das Berliner Abgeordnetenhaus versuchte der Bereich Schwule die AL-Abgeordneten für seine Ziele in Position zu bringen. Der Mitgliederrundbrief vom Mai 1982 enthält Hinweise auf ein politisches Forum am 17. Februar 1982 im Igelkeller, dessen Titel folgendermaßen lautete: „Schwerpunkt: Schwule. Das Sexualstrafrecht geht uns alle an!! Für die ersatzlose Streichung der Paragrafen 174, 175 und 176 des Strafgesetzbuches“.
Im Referat des Schwulenbereichs auf diesem Forum wurden die Abgeordneten der AL aufgefordert, eine parlamentarische Initiative zur Streichung der §§ 174, 175 und 176 StGB auf den Weg zu bringen.
Zwar schienen Forderungen zum Sexualstrafrecht in der Regel aus dem AL-Schwulenbereich heraus vorgebracht worden zu sein, die knappen Abstimmungsergebnisse am Anfang der 1980er Jahre zeigen aber, dass auch in der AL-Mehrheit in dieser Zeit keine einheitlich ablehnende Haltung bei diesen Fragen vorhanden war.
Bund rückt ab
Auf Bundesebene hatten die Grünen zu dieser Zeit bereits einen politischen Kurswechsel bei den Positionen zum Sexualstrafrecht vorgenommen, obwohl eine Änderung des Grundsatzprogramms erst 1993 erfolgte.
Der Bundeshauptausschuss traf sich im April 1989, um die Bundesarbeitsgemeinschaft Schwulenpolitik offiziell anzuerkennen. Im dazugehörigen Antrag, der einstimmig angenommen wurde, fand sich auch folgende Formulierung: „Die Forderung nach einer Abschaffung des 13. Abschnitts des Strafgesetzbuches […] oder eine Streichung der §§ 174 und 176 [p], wie sie von Teilen der Schwulenbewegung diskutiert wird, ist für DIE GRÜNEN völlig inakzeptabel.“
Von 1990 bis zum Jahr 1994 riss die Serie von Artikeln im Kreuzberger Stachel nicht ab, welche Orte und Fälle sexuellen Missbrauchs an Kindern in Kreuzberg problematisierten. Wenig später warb Joachim Eul in den Stachligen Argumenten um neue Mitglieder für den AL-Schwulenbereich und referierte, dass ignoriert werde, dass „Kinder ein Recht auf Sexualität“ hätten. Er bezweifelte die Relevanz des Sexualstrafrechts, da Vergewaltigung und sexueller Missbrauch auch unter Zuhilfenahme anderer Strafrechtsparagrafen geahndet werden könnten.
Berliner bleiben dabei
Im Zuge dieser Werbekampagne für den Schwulenbereich 1992, die dazu diente, durch Erhöhung der Mitgliederzahl den Status des Bereichs zu sichern, gründete Fred Karst die Untergruppe „Jung und Alt“ als schlecht getarnte Pädo-Gesprächsgruppe.
Am 4. Februar 1995 erschien in der Berliner Zeitung ein Artikel über den Prozess und das Urteil gegen Fred Karst wegen Missbrauchs an einem zur Tatzeit achtjährigen Jungen. Es wurde berichtet, dass Karst aktives grünes Mitglied sei, eine Jugendgruppe leite und schon 1980 wegen sexuellen Missbrauchs zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden sei. Fred Karst gehörte dem Schwulenbereich der Berliner Grünen an und war seit Dezember 1992 sein Vertreter auf der Landesdelegiertenkonferenz. Daraufhin vermerkte das GA-Protokoll vom 13. Februar 1995 einen einstimmigen Beschluss zur Einleitung eines Ausschlussverfahrens gegen Fred Karst wegen parteischädigenden Verhaltens.
Die „Pädolobbygruppe“
Der Schwulenbereich der Berliner AL, ab 1993 von Bündnis 90/DIE GRÜNEN, war rund 15 Jahre lang im Landesverband die treibende Kraft für die Forderung, das gesamte Sexualstrafrecht zu streichen – also auch die §§ 174 und 176 StGB. Von Beginn an und insbesondere in den 1980er Jahren wurde der Schwulenbereich von pädosexuellen schwulen Männern dominiert, die in eigener Sache agierten. Er trat somit als „Pädolobbygruppe“ auf.
Darunter waren mindestens zwei, Dieter F. Ullmann (Mitglied von Mai 1981 bis März 1989) und Fred Karst (Mitglied von März 1983 bis Mai 1995), die über viele Jahre in sogenannten offenen Wohnungen (darunter dem „Falckensteinkeller“) Jungen im Alter von 7 bis 12 Jahren sexuell missbraucht haben. Sie gehörten, beide sind inzwischen verstorben, zu den wichtigsten pädosexuellen Netzwerkern inner- und außerhalb Berlins. Auch Peter Schnaubelt, der später wegen der Herstellung und Verbreitung von Kinderpornografie vor Gericht stand, war von 1992 bis 1996 Mitglied der Partei und ihres Schwulenbereichs.
Im Windschatten früher programmatischer Erfolge vertrat der Schwulenbereich noch Anfang der 1990er Jahre entgegen längst anders lautenden Parteibeschlüssen die These der einvernehmlichen Sexualität zwischen Kindern und Erwachsenen.
Neue Anwerbung
Als der Bereich 1992 personell so ausgeblutet war, dass ihm die Aberkennung des Bereichsstatus drohte, wurde eine zweigleisige Anwerbung neuer Mitglieder gestartet. Zum einen traten neue Mitglieder ein, die im Schwulenbereich über das Pro und Kontra der Öffnung der Ehe diskutierten und zum überwiegenden Teil mit den Forderungen der Pädosexuellen wenig anfangen konnten. Zum anderen warb Fred Karst eine Gruppe von mehreren Männern an, die sich ab Herbst 1992 in der Untergruppe „Jung und Alt“ als schlecht getarnte „Pädogruppe“ trafen.
Der Schwulenbereich war zunächst relativ erfolgreich, seine Programmatik zur straffreien vermeintlich einvernehmlichen Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern durchzusetzen. Später konnte er entgegen der Parteimehrheit diese Position zumindest weiterhin vertreten.
Ende der Debatte
Nach der erneuten Verurteilung des Bereichsmitglieds Fred Karst wegen sexuellen Missbrauchs im Februar 1995 distanzierte sich der Schwulenbereich von jedwedem Missbrauch von Kindern und bekannte sich zum Schutzalter 14 Jahre. Damit wurde stillschweigend auch die These der möglichen einvernehmlichen Sexualität zwischen Kindern und Erwachsenen begraben.
Die Mitglieder der Gruppe „Jung und Alt“ verloren mit Fred Karst ihre Führungsfigur und wurden, so weit die Kommission es nachvollziehen kann, zwischen 1995 und 1997 wegen nicht gezahlter Beiträge als „Karteileichen“ aus der Liste der Parteimitglie der gestrichen. Ab Februar 1995 traten keine Pädosexuellen mehr im Bereich in Erscheinung. Allerdings kam es bis 2010 auch nie zu einer Aufarbeitung dieses Teils der Bereichsgeschichte.“