: Die Lösung verspätet sich
BAHN Den ganzen Tag über suchen Bahn und GDL nach einer Lösung, um den neuen Streik doch noch abzuwenden. Derweil beginnen Lokführer mit dem Ausstand im Güterverkehr
■ EVG: Neben der GDL verhandelt auch die konkurrierende Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) noch mit der Bahn über den Abschluss eines neuen Tarifvertrags. Die Bahn bietet bisher 4,7 Prozent mehr Lohn und eine Einmalzahlung. Die EVG fordert 6 Prozent. Auch wichtig: Die EVG will ihre Stellung gegenüber der streikfreudigen GDL behaupten. Bis zum vergangenen Sommer hatten beide Gewerkschaften ihre jeweiligen Einflussbereiche miteinander abgesteckt, doch das Verhältnis ist tief zerrüttet. In dieser Tarifrunde verhandeln beide deshalb für alle ihre Mitglieder – und damit teilweise auch für dieselben Berufsgruppen.
■ Einigung: Seit ihrer ersten Verhandlungsrunde Mitte September haben die Bahn und die EVG bereits viele Fragen geklärt. Läuft alles glatt, wollen Bahn und EVG am Donnerstag einen Tarifabschluss unter Dach und Fach bringen. Es sei an der Zeit für ein Ergebnis, sagt EVG-Verhandlungsführerin Regina Rusch-Ziemba.
■ Streik: Die Chancen zur Einigung stünden aber nur „50:50“, sagt Rusch-Ziemba. Sie stellte dem Konzern daher vor der zwölften Verhandlungsrunde ein Ultimatum: Wenn die Bahn ihr Angebot nicht nachbessert, will auch die EVG ihre Mitglieder zum Streik aufrufen. „Es gibt nur eine von diesen Möglichkeiten.“ (afp, taz)
VON RICHARD ROTHER
BERLIN taz | Der de facto unbefristete Streik der Lokführergewerkschaft GDL stellt die bundeseigene Deutsche Bahn AG vor zusätzliche Probleme, ihre Ersatzfahrpläne in Gang zu setzen. Zudem ist jetzt schon abzusehen, dass der wirtschaftliche Schaden größer ist als bei vorangegangenen Streiks, selbst wenn der kommende kürzer sein sollte. Denn die Kunden, sowohl im Güter- als auch Personenverkehr, wissen nicht, ab wann sie sich wieder auf ein normales Angebot verlassen können – deshalb dürften sie sich auch längerfristig Alternativen suchen.
Trotz neuerlicher und bei Redaktionsschluss noch laufender Vermittlungsversuche hat der Streik am Dienstagnachmittag im Güterverkehr begonnen; am Mittwochmorgen sollte der Personenverkehr folgen.
„Der Schaden für die Bahn und die Volkswirtschaft ist immens“, sagte Bahnvorstand Ulrich Homburg. Großkunden hätten sich inzwischen für ihre Transporte „ein zweites Standbein aufgebaut“. „Das Vertrauen in das Gesamtsystem Bahn ist erschüttert“, sagte Homburg.
Um die Belastung für die täglich 5 Millionen Fahrgäste so gering wie möglich zu halten, hat die Bahn wieder Ersatzfahrpläne aufgestellt. Wie bei den früheren Ausständen will die DB während des Streiks etwa ein Drittel der Fernzüge fahren lassen. Bei den Regionalzügen erwartet die Bahn, dass je nach Region 15 bis 60 Prozent der üblichen Zahl unterwegs sein werden. Im Güterverkehr sollen etwa 70 Prozent der Züge rollen. Den arg gerupften Ersatzfahrplan veröffentlichte die Bahn am Dienstag auf ihrer Internetseite bahn.de.
Homburg appellierte an die Fahrgäste, die Ersatzzüge auch tatsächlich zu nutzen. In der Tat hatten viele Kunden schon beim letzten Streik die Erfahrung gemacht, dass Ersatzzüge leerer als erwartet waren, weil sich Fahrgäste zuvor Alternativen wie Autos oder Fernbusse gesucht hatten.
Am Dienstagmorgen waren Vertreter der Bahn und der GDL mit dem Arbeitsrechtler Klaus Bepler zusammengekommen, um Möglichkeiten zur Wiederaufnahme der Gespräche auszuloten. Bepler war im Jahr 2010 Richter beim Bundesarbeitsgericht und hat maßgeblich zur Änderung der Rechtssprechung in Sachen Tarifeinheit beigetragen, die letztlich eine Ursache für die erbittert ausgetragenen Konkurrenzkämpfe zwischen Sparten- und DGB-Gewerkschaften ist.
Das Gericht brachte damals den jahrzehntelang geltenden Grundsatz „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag“ zu Fall. Damit stärkte es die Position von Spartengewerkschaften, in denen etwa Ärzte, Piloten, Flugbegleiter und die Lokführer organisiert sind. Mittlerweile möchte der Gesetzgeber dagegensteuern; am Freitag will die große Koalition im Bundestag das Gesetz zur Tarifeinheit beschließen.
GDL-Chef Claus Weselsky hat zu erkennen gegeben, dass die Gewerkschaft bei einer Schlichtung zu ihren Bedingungen den angekündigten Arbeitskampf innerhalb von 12 bis 24 Stunden beenden könnte. Die inhaltlichen Fragen des Tarifkonflikts seien nicht unlösbar, sagte Weselsky im Fernsehen. Man sei aber nicht bereit, in einer Schlichtung über die Frage der Tarifeinheit zu verhandeln: „Es ist schlussendlich unser Grundrecht, für unsere Mitglieder einen Tarifvertrag abzuschließen – und zwar egal, ob der abweicht von einem anderen Tarifvertrag oder nicht.“
Die bundeseigene Bahn wiederum besteht darauf, dass es keine unterschiedlichen Tarifregelungen für ein und dieselbe Berufsgruppe im Konzern gibt. Auch die EVG verfolgt dieses Ziel.
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