: Links sein ist kein Grund für Kontrolle
GEFAHRENGEBIETE Gericht bezeichnet „schärfstes Polizeigesetz“ als verfassungswidrig. Dennoch bleibt es in Kraft
ANWALT DER KLÄGERIN
VON VIKTORIA MORASCH UND CHRISTIAN RATH
BERLIN/FREIBURG taz | Gefahrengebiete sind eine Hamburger Besonderheit. Der damalige CDU-Innensenator Udo Nagel hatte sie im Jahr 2005 eingeführt und sich über „das schärfste Polizeigesetz Deutschlands“ gefreut. Die Polizei bekommt durch diese Regelung Sonderrechte: Personen in diesen Zonen dürfen kontrolliert werden, ohne dass eine konkrete Gefahr oder ein Verdacht vorliegt. Bundesweit war die Regelung schon lange scharf kritisiert worden. Doch jetzt kommt die Kritik an dem weitreichenden Sonderkontrollrecht von berufener Seite. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Hamburg hält die Einrichtung von Gefahrenzonen durch die Polizei für verfassungswidrig. Das geht aus einem am Mittwoch gefällten Urteil hervor.
Geklagt hatte eine Bewohnerin des Hamburger Schanzenviertels, die in der Nacht zum 1. Mai 2011 in einem von der Polizei eingerichteten Gefahrengebiet kontrolliert wurde. Ihr Rucksack wurde durchsucht, außerdem erhielt sie ein Aufenthaltsverbot und wurde bis früh morgens in Gewahrsam genommen. Das Gericht stellte im Berufungsverfahren fest, dass nicht nur die Ingewahrsamnahme der Hamburgerin und das Aufenthaltsverbot rechtswidrig gewesen seien, sondern auch die Kontrolle der Identität und des Rucksacks.
Zunächst prüfte das OVG das Hamburger Polizeigesetz und stellte fest, dass die Möglichkeit zur Einrichtung von „Gefahrengebieten“, in denen die Polizei verdachtsunabhängig kontrollieren darf, gegen das Grundgesetz verstößt. Die Norm sei unverhältnismäßig und zu unbestimmt (s. Text u.). „Wir sind sehr froh darüber, dass das Oberverwaltungsgericht so klare Worte gefunden hat“, sagte der Anwalt der Klägerin, Carsten Gericke.
Für die Lösung des konkreten Falls kam es allerdings auf die Verfassungswidrigkeit der Norm nicht an. Deshalb verzichteten die OVG-Richter darauf, die Frage dem Bundesverfassungsgericht oder dem Hamburger Landesverfassungsgericht zur weiteren Klärung vorzulegen. Das Hamburger Gesetz bleibt somit in Kraft, die Polizei kann also weiter Gefahrengebiete ausweisen.
Die Klage der Frau hatte Erfolg, weil die Polizei angeordnet hatte, dass in der Gefahrenzone alle Personen durchsucht werden können, „die augenscheinlich dem linken Spektrum zuzuordnen sind“. Die Richter sahen darin einen Ermessensfehler, weil das Kriterium „ungeeignet“ sei. Zum einen ergebe sich aus Äußerlichkeiten, die leicht veränderbar sind, nicht hinreichend sicher die Zugehörigkeit zu einem politischen Spektrum. Zum anderen habe eine Personenkontrolle Stunden vor möglichen Ausschreitungen keinerlei Aussagekraft für eine spätere Strafverfolgung.
Rechtswidrig war laut OVG auch, dass die Polizei in den Rucksack der Frau gegriffen und dort herumgewühlt hat. Das gehe über eine bloße „Inaugenscheinnahme“ hinaus. Für eine Durchsuchung gab es dagegen keinen Anlass.
Kritiker hatten schon lange geargwöhnt, dass die Regelung zu noch mehr Gewalt führen könnte – vor allem, als sie im Januar 2014 eingesetzt wurde, um die Demonstrationen für das autonome Kulturzentrum „Rote Flora“ unter Kontrolle zu halten. Die Stadtviertel St. Pauli, das Schanzenviertel und Teile Altonas wurden zu gefährlichem Terrain erklärt, zur größten Gefahrenzone bislang, betroffen waren etwa 50.000 Einwohner.
Gefunden hat die Polizei damals bei fast 1.000 Kontrollen eher wenig. Die Hamburger Linke veröffentlichte eine Liste der Polizei: 19 Böller wurden konfisziert, zwei Knüppel, ein Schlagstock, Pfefferspray, ein Taschenmesser und wenige weitere Gegenstände. In der Walpurgisnacht 2011 befürchtete die Polizei, die Lage könnte eskalieren. Elf Polizisten wurden in jener Nacht in Hamburg bei Mai-Krawallen verletzt.
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