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Archiv-Artikel

Hypnotische Repetitionen

BUCHPREMIERE In „Schleifen. Zur Geschichte und Ästhetik des Loops“ geht Tilman Baumgärtel der Frage nach, wie das Prinzip endloser Wiederholungen zu einem prägenden künstlerischen Gestaltungsmittel von heute wurde

Weitgehend übersehene ästhetische Methode

Nam June Paik, Karlheinz Stockhausen, Andy Warhol, Terry Riley und Ken Kesey. In den Werken dieser Künstler haben Loops eine bedeutsame Rolle gespielt. Solch kurze, mithilfe von Aufzeichnungsmedien wiederholte Ton- oder Bildsequenzen haben sich in der Kunst und Musik als folgenreiche, aber bisher weitgehend übersehene ästhetische Methode erwiesen. Tilman Baumgärtel erzählt in „Schleifen. Zur Geschichte und Ästhetik des Loops“ nun, wie eine ehedem unauffällige Grundfunktion aller modernen Medientechnologie vollständige künstlerische Oeuvres und Musikstile wie Minimal Music, HipHop und Techno hervorgebracht hat.

■ „Schleifen. Zur Geschichte und Ästhetik des Loops“ erscheint am 15. 5. im Kadmos Kulturverlag, 352 Seiten, 24,90 €. Buchpräsentation mit einem Minimal-Music-Konzert am 20. 5. um 20. 30 Uhr in der Buchhandlung Pro qm, Almstadtstr. 48–50, Eintritt frei

VON PHILIPP RHENSIUS

Wir leben in einer Welt aus Loops, aus Endlosschleifen und Wiederholungen. Jeden Tag dreht sich die Erde um ihre eigene Achse, Radios spucken die immer gleichen Popsongs aus, während im Newsbalken auf N24 unablässig x-mal gelesene Sätze aneinandergereiht werden, bis selbst die schockierendsten Nachrichten zu Worthülsen verkommen.

Loops sind heute ein zentraler Bestandteil unseres Alltags und der Kultur, vor allem in der Musik. Doch wie kam es dazu, dass diese Schleifen, wie sie übersetzt etwas unbeholfen heißen, allgegenwärtig wurden? taz-Autor Tilman Baumgärtel hat sich näher mit dieser Frage beschäftigt – und mit „Schleifen. Zur Geschichte und Ästhetik des Loops“ eine Art Grundlagenwerk geschrieben, das am Mittwoch in der Buchhandlung Pro qm vorgestellt wird.

Der promovierte Medienwissenschaftler Baumgärtel konzentriert sich in seinem Buch auf den Loop als künstlerisches Gestaltungsmittel, das sich spätestens in den 1970er Jahren zu einem prägenden ästhetischen Konzept entwickelt hat – gerade in der Musik.

Baumgärtel nimmt einen Besuch im Techno-Club Berghain als Ausgangspunkt seiner Überlegungen – jenen Pilgerort für alle, denen ein guter Loop heilig ist. Dort, zwischen den Hunderten von tanzenden Körpern, dem Cocktail aus Bass, Beats und Ekstase, passiert unter dem Einfluss musikalischer Loops etwas, das die Sicht auf die Welt verändert: „Die Gedanken verfangen sich in diesen Schleifen, der Körper wird von ihnen eingesponnen, beginnt sich in ihrem Takt zu bewegen“, schreibt Baumgärtel.

Alltag auf Tonband

Im Zentrum des Buchs stehen aber weniger die ekstatischen Momente als eine Kulturgeschichte des Loops, deren Anfang Baumgärtel auf kurz nach dem Zweiten Weltkrieg datiert. In dieser Zeit begann der französische Komponist Pierre Schaeffer mithilfe von Tonbändern aus Alltagsgeräuschen eigenwillige Stücke zu komponieren – und war damit der Erste, der Alltagsklänge als Loops in Musik verwandelte. Seine „Etüde über die Eisenbahn“ von 1948, in der repetitive Motorengeräusche, das Ruckeln der Waggons und quietschendes Metall zu einer atonalen wie rhythmischen Musique-concrète-Komposition werden, war quasi die erste loop-basierte Musik überhaupt.

Es vergingen aber noch einige Jahre, bis sich der „Wille zur Wiederholung“ innerhalb der Künste weiter verbreitete. In den 1960er Jahren entwickelten Komponisten wie Terry Riley und Steve Reich schließlich eine Musik, die aufgrund der radikalen Wiederholung von kurzen Motiven seither als Minimal Music firmiert.

Parallel erfand Raymond Scott neue elektronische Instrumente wie das „Electronium“ und den Sequenzer, welche die Arbeit mit Loops vereinfachten. Und in der Popmusik machte sich unter anderem der Psychedelic Rock die hypnotische Wirkung von Repetition zu eigen.

Aber auch aufseiten der bildenden Künste wuchs das Interesse an Loops. Nam June Paik, Begründer der Medienkunst, und der Objektkünstler Peter Roehr begannen, in ihren Filmen mit Reihungen von Formen und Farben zu experimentieren. Ihre Arbeiten waren, ähnlich wie die von Schaeffer, Reflexionen einer Welt, die zunehmend von der serienhaften Warenproduktion bestimmt war. Gemeinsam war ihnen die Suche nach Wahrnehmungsformen wie Immersion und Ekstase – was später in Musikstilen wie Disco, HipHop, House und Techno kulminierte, in denen Loops zum Kompositionsprinzip schlechthin wurden.

Doch der Weg dahin war gesäumt von harten kulturellen Grabenkämpfen. Als prominenten Loop-Feind führt Baumgärtel immer wieder Adorno an, der in der von Wiederholungsprinzipien geprägten Popkultur der 1960er und 70er nichts anderes als eine kapitalistische Verwertungslogik und die Gefahr einer kulturellen Homogenisierung sah. Dass solche Kritik heute noch Berechtigung hat, daran wird man erinnert, wenn man etwa in einer Telefonwarteschleife festhängt, in der gequälte Synthie-Saxofone gnadenlos immer wieder dieselbe Melodien herunterleiern.

Quelle der Imagination

Doch der Siegeszug des Loops war nicht aufzuhalten. Für Baumgärtel war der Wendepunkt mit dem Beginn der Postmoderne erreicht, die mit dem „Ende der großen Erzählung“ (Jean-François Lyotard) und dem Ende einer linearen Geschichtsschreibung einherging. Was eine gute Voraussetzung dafür war, Loops als Quelle der Imagination zu verstehen. Der Wiederholung eine „Differenz zu entlocken“, wie der französische Philosoph Gilles Deleuze schreibt, ist eine intellektuelle Herausforderung.