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Archiv-Artikel

Abwesend im eigenen Leben

FASSBINDER II Im Rahmen des Berliner Theatertreffens ist Susanne Kennedys Inszenierung von „Warum läuft Herr R. Amok?“ zu sehen – ebenso eine Performance, die spielerisch Zitate des großen deutschen Regisseurs in Szene setzt

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

„Warum läuft Herr R. Amok?“ in der Münchner Inszenierung von Susanne Kennedy ist das radikalste Geschenk, das aus der Gegenwart des Theaters an Rainer Werner Fassbinder abgeschickt wurde. Der Fassbinder-Fokus beim Theatertreffen in Berlin, wohin Kennedys Inszenierung eingeladen war, legte nahe, ihr Stück mit anderen Bühnenstücken nach Fassbinderfilmen zu vergleichen: etwa „Die Ehe der Maria Braun“ in der Regie von Thomas Ostermeier an der Schaubühne oder „Angst essen Seele auf“ von Hakan Savas Mican am Gorki-Theater inszeniert. Was Kennedy diesen Bühnenadaptionen voraus hat, ist der souveräne Umgang mit Schnitt, Rhythmus und anderen ästhetischen Mitteln des Films.

Vergleich mit Ostermeier

Dabei schlägt auch Ostermeier in der Geschichte von Maria Braun, die dreimal jahrelang auf ihren Ehemann Hermann warten muss und dabei zu einer unabhängigen Geschäftsfrau in der Nachkriegszeit wird, einigen Witz aus der Übersetzung des filmischen Mediums. Anfangs wird aus dem Drehbuch vorgelesen, Schnitte und Szenenwechsel werden markiert, indem ein Schauspieler (Robert Beyer) in den Mantel, den er eben noch in der Rolle der Mutter anhatte, verkehrt herum schlüpft und nun einen Arzt spielt. Ostermeier hatte diese Hommage an eine emanzipierte Frau, die auch durch ihre klaren Ansage in der Liebe verblüfft, 2007 an den Münchner Kammerspielen inszeniert, und diese Fassung 2014 in neuer Besetzung an der Schaubühne wiederaufgenommen. Ursina Lardi ist eine hinreißende Maria Braun, unsentimental und direkt, und immer kleinhaltend, was an ihrer langen Geschichte der Liebe zu einem abwesenden Mann auch von tragischer Größe sein könnte. Aber so gern man ihr auch durch die Jahre des Wirtschaftswunders folgt, erhält man auf diese Zeit keinen eigenen Blick – sie bleibt Dekorum aus Tütenlampen und dreibeinigen Tischen. Der Bühnenadaption gelingt es weniger als dem Film, die Erzählung für eine zeitkritische Reflexion zu nutzen.

1969 entstand der Film „Warum läuft Herr R. Amok?“, von Michael Fengler und Fassbinder, mit Schauspielern des Antitheaters gedreht. Der Duktus war dabei oft halbdokumentarisch, die Dialoge, ein Füllen der Leere zwischen den emotional extrem heruntergeschraubten Personen, wirken teils improvisiert. Die Antwort auf die Frage im Titel sucht der Film bewusst nicht im Psychologisieren und beschreibt mit kaltem Blick ein Leben zwischen autoritätsfixierten Angestellten und statusversessenen Nachbarn.

Kennedys Inszenierung ist deshalb stark, weil sie die Reduktion der Subjekte weitertreibt und ihnen gerade damit einen unheimlichen Ausdruck verleiht. Mit den als Play-back eingespielten Stimmen, emotionslos gesprochen, den Masken, die die Mimik runterdimmen, und mit verkürzten und mechanischen Bewegungen erinnern sie an gezeichnete Figuren, Chiffren von großer Künstlichkeit und Einfachheit. Wie im Animationsfilm werden Geräusche künstlich verstärkt. Der Raum, verkleidet mit Holzimitat, wird auf einem Bildschirm und auch in einer Leinwand filmisch gedoppelt und verdreifacht. Schrifteinblendungen sagen den Ort der Szene an.

So werden die Figuren viel weniger zu Kleinbürgerkarikaturen als vielmehr zu Einheiten, die jeweils in einer Blase treiben. Zweifel an der Autorschaft über das eigene Ich; Zweifel an den Möglichkeiten der Kommunikation, an der Verstehbarkeit der eigenen Gedanken zeichnet Herrn R. schon im Film aus; seine Abwesenheit im eigenen Leben hat sich in Kennedys Inszenierung über alles gestülpt. Authentizität in der Erfahrung ist hier keine Möglichkeit mehr zwischen den vorgefertigten Bauteilen des Lebens. Das ist dabei zum Teil auch witzig in seinen Verzögerungen und Verlangsamungen gespielt. Eine Szene, in der Herr R. sich an ein Musikstück zu erinnern versucht, mit drei monoton ausgesprochenen Silben, taucht als Running Gag immer wieder auf. Kennedy hechelt dem filmischen Rhythmus nicht hinterher, sondern konstruiert ihr eigenes Zeitmaß.

Mit einer Liebe im Bauch muss man nicht flippern

Dass Fassbinder nicht nur in Bühnenadaptionen seiner Filme heute eine große Rolle für das Theater spielt, sondern mehr noch als Referenzpunkt im Nachdenken über die Funktion des Theaters, verdeutlicht dann ein Spiel mit Fassbinder-Zitaten von Patrick Wengenroth mit Lucy Wirth und Matze Kloppe mit dem Titel „Einer, der eine Liebe im Bauch hat, der muss nicht am Flipper spielen“. Einerseits sieht man Fassbinder und Hanna Schygulla rauchen, in Slow Motion riesig auf einer Leinwand, eine Ergebenheitsadresse des Fans an eine Kulturfigur. Andrerseits streiten sich Wirth und Wengenroth über den ausgestellten Machismus des Regisseurs und hauen sich in einem virtuosen Schlagabtausch Fassbinder-Zitate um die Ohren, die den Masochismus seiner berühmten Frauenfiguren wie Martha betreffen. Für den Satz „Ich glaube, dass die Opfer sich ihre Täter suchen“ wird er von ihr unter einem Berg von Flokatis begraben. So auch der Ambivalenz der Figur Fassbinder wieder habhaft zu werden und sie nicht nur museal zu überhöhen – das tut gut.