Kalte Monster und Stille

TODESTAG Am 8. Mai 1990 starb der Komponist Luigi Nono. Die Staatsoper ehrte ihn am Wochenende mit zwei Konzerten

Piano, pianissimo. Und leiser. Kurze Töne, dazwischen Pausen. Viele Pausen. Bis zu einer halben Minute können sie dauern. Manchmal knappe laute Ausbrüche, die dennoch nie so richtig schrill werden. „Fragmente – Stille, An Diotima“, von 1979 bis 1980 entstanden, ist das einzige Streichquartett des italienischen Komponisten Luigi Nono, zugleich ist es einer der schönsten Beiträge zur Gattung überhaupt. In Auftrag gegeben hatte es das LaSalle String Quartet in den fünfziger Jahren, Nono brauchte allerdings eine Weile, bis er die richtige Tonsprache gefunden hatte: 25 Jahre. Und vor 25 Jahren, am 8. Mai, starb der Komponist, der die Nachkriegsmoderne maßgeblich prägte. Die Staatsoper erinnerte am Wochenende mit zwei konzentrierten Konzertabenden an seinen Todestag.

Nonos Quartett, das durch das Hölderlin-Gedicht „Diotima“ inspiriert ist, machte am Freitag den Auftakt. Das Arditti Quartet, bewährte Autorität für moderne Musik, horchte konzentriert in diese fast zerbrechlichen Töne hinein. Die Musik, die aus nichts anderem als einer Folge stiller, dichter Momente zu bestehen scheint, erzeugt Spannung durch Zurücknahme, spricht mit leiser, aber entschiedener Stimme. Sie fordert die Aufmerksamkeit der Hörer wie von selbst ein.

Die Werkstatt der Staatsoper ist für diese Musik eigentlich ein undankbarer Ort. Im Hintergrund summt die Lüftungsanlage, durch die Türen hört man das eine oder andere Auto von der Bismarckstraße. Man kann das als Zugeständnis an das Musikverständnis eines Komponisten wie John Cage verstehen, der den Alltag und seine Geräusche als emanzipiertes Material verstanden wissen wollte und sie ganz bewusst in seine Komposition integrierte. Man kann darin ebenso eine indirekte Erinnerung an Nonos eigene politische Haltung sehen.

Links bis zur Zensur

Nono war ein entschieden links denkender Musiker. Seit den frühen fünfziger Jahren gehörte er, selbst bürgerlicher Herkunft, der Kommunistischen Partei Italiens an, in seinen Werken, besonders denen der sechziger Jahre, beschäftigte er sich offen mit Rassismus, Entfremdung in der Arbeitswelt oder Antifaschismus, was manchmal zur Zensur führte. Auch die Klänge des Straße fanden Eingang in seine Musik, die keinesfalls bloß für ein elitäres Publikum gedacht war. Sein Spätwerk wie die „Fragmente“ wirkt da deutlich hermetischer, dabei handelt es sich bloß um eine andere Form der Öffnung. Ebenfalls zu Nonos Spätwerk zählt die elektroakustische Komposition „Guai ai gelidi mostri“, zu Deutsch „Wehe den eiskalten Ungeheuern“, aus dem Jahr 1983. Alle Instrumente – zwei Stimmen, drei Streicher und fünf Bläser – werden von Mikrofonen abgenommen und zum Teil stark verfremdet über Lautsprecher wiedergegeben. Die Klänge wandern dabei im Raum, nutzen die Bewegung als zusätzliches Gestaltungsmittel.

Ingo Metzmacher, der zurzeit an der Staatsoper auch die Strauss-Oper „Ariadne auf Naxos“ probt, dirigierte das Ensemble Modern, eine maßgebliche Institution der zeitgenössischen Musik, mit den Sängerinnen Uta Buchheister und Maria Gortsevskaya als Solisten. Die Instrumente sind fast ausschließlich in zwei- bis achtfachem Piano notiert, wie Metzmacher vorab erwähnte, also sehr leise, und erzeugen einen gemächlichen Fluss, der nur selten etwas unruhiger wird. Um das Publikum am friedlichen Entschlummern zu hindern, wird die besinnliche Stimmung mehrfach durchstoßen von kreischenden Frequenzen, die gellen wie schlimmster Tinnitus. Ergänzt wurde dieses wunderbar irritierende Hörerlebnis durch drei frühe Kammerwerke Nonos aus den fünfziger Jahren. Damals arbeitete er noch mit seriellen Techniken, mithin einer strengen Organisation des Tonmaterials. Zu seinem stark konzentrierten Ausdruck hatte er da schon längst gefunden.TIM CASPAR BOEHME