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Archiv-Artikel

Die Antwort: Zweckoptimismus

# Internetpolitik ist jetzt Gesellschaftspolitik. Das war das Mantra der neunten re:publica, die zur Alles-und-Internet-Konferenz geworden ist. Ein Rückblick

Es gehört zur re:publica-Folklore, sich von weisen alten Männern erklären zu lassen, wo es langgeht

VON MEIKE LAAFF

Es gibt diese Momente auf der re:publica. Diese Momente, in denen das gesamte Ausmaß der Misere von Kontrolle und Überwachung im Internet einem über dem Kopf zusammenklatscht wie eine Welle und es einem kurz die Luft abschnürt. Egal, wie bekannt das alles im Einzelnen schon ist.

Etwa dann, wenn Sci-Fi-Autor Cory Doctorow unsere derzeitige Lage im Kampf gegen Totalüberwachung und Kontrolle im Digitalen mit der eines Ertrinkenden vergleicht, der doch zumindest noch strampeln, die Hoffnung nicht verlieren soll. Oder wenn der ehemalige Pirate-Bay-Sprecher Peter Sunde, die Ringelsocken gemütlich auf einem Hocker ausstreckend, sagt, dass wir den Krieg gegen Überwachung längst verloren haben. Aller Aktivismus nur noch graduell das Schlimmste verhindern könne. Wofür die meisten Menschen aber keine Zeit haben würden – weil sie erst mal mit dem Verlust von massenhaften Jobs an Roboter beschäftigt sein würden.

Es ist die zweite re:publica, seit Ed Snowden mit seinen Enthüllungen über Geheimdienste begonnen hat. Zeit, nachzudenken, wie man reagieren möchte – vor allem auf das Schulterzucken und den Mangel an Konsequenzen. Die Antworten, die viele Sprecher gefunden haben: Öffnung und Zweckoptimismus.

Cory Docotorow etwa sagt, die wirklich wichtigen Kämpfe, vom Klimawandel bis zur Schere zwischen Arm und Reich, würden allesamt verloren gehen, wenn wir kein faires, freies und offenes Internet hätten. Und Chaos-Computer-Club-Sprecher Frank Rieger schlägt vor, mit dem ständigen Klein-Klein-Regulieren von Technik aufzuhören – und stattdessen positive Visionen zu entwickeln, wie wir leben wollen. Und zwar kollektiv. Um auf deren Basis dann Geschäftsmodelle, nicht Technik zu beschränken. Oder, wie Hacker Jacob Appelbaum es bei der Präsentation eines Kunstprojekts mit Ai Weiwei formulierte: „Widerstand muss nicht aus dem Internet kommen – er kann auch von Herzen kommen.“

Internetpolitik ist jetzt Gesellschaftspolitik – diese Perspektive war das Mantra der re:publica, die im neunten Durchgang zu einer Alles-und-Internet-Konferenz geworden ist. Weswegen inzwischen fast gar kein Internetbezug mehr nötig ist, um auf der Konferenz anschlussfähig zu sein/einen Vortrag halten zu dürfen. Und weswegen – so der dahinter liegende politische Mobilisierungsaufruf – sich nun auch jeder, denen diese Themen bislang wenig jucken, sich angesprochen fühlen sollte. Brauchen die, die an immer mehr Fronten fürs freie Internet kämpfen, doch jede Unterstützung, die sie kriegen können.

Und weil es ja auch nicht wirklich sexy ist geschweige denn irgendetwas voranbringt, immer nur herumzujammern, konnte man auf der re:publica teils sehr kreative Formen des Zweckoptimismus beobachten. MIT-Forscher Ethan Zuckerman zum Beispiel sah sich nicht nur in der Lage, schlüssig zu erklären, warum Proteste von Gezi bis Occupy heute so leicht verpuffen. Er machte auch Vorschläge, wie man das immer stärkere Misstrauen vieler Menschen in Institutionen positiv umnutzen könnte – mit dezentralen Alternativen etwa, technischen Lösungen, überwachenden Bürgern.

Auch Markus Beckedahl und sein netzpolitik.org-Mitstreiter Leonhard Dobusch versuchten sich in Zweckoptimismus – indem sie versuchten, den zehn großen netzpolitischen Dauerthemen von TTIP über Breitbandausbau bis Datenschutzreform positive Aspekte und Entwicklungen abzuringen.

Es gibt aber eben auch all diese ganz anderen Momente auf der re:publica. Die etwa, in denen all die Businessanzüge und Twitterclowns und Medienbesserwisser und alle anderen re:publica-Besucher im vollgesteckten Auditorium der größten Bühne sitzen und stehen und an den Lippen eines glatzköpfigen Mannes im blauen Overall hängen. Alexander Gerst. Hier wahrscheinlich besser bekannt unter seinem Twitterhandle @astroalex. Der Astronaut aus Künzelsau, der sechs Monate lang bestürzend schöne Bilder aus dem Weltraum twitterte. Dieser Mann macht so unglaublich sympathisch und geerdet Promo für die bemannte Raumfahrt, denkt dann auch noch an die Kinder und beherrscht sogar die Kunst der US-Motivationsrede, sagt, dass man seine Träume niemals vergessen solle, er und Astronaut, das habe er sich selbst lange nicht getraut zu glauben.

Und weil es zur re:publica-Folklore gehört, sich von weisen alten Männern erklären zu lassen, wo es langgeht, darf Mathematiker Gunter Dueck sagen, warum im Schwarm alle immer so dumm sind. Und Soziologe Zygmunt Bauman darf das über Internet, Privatsphäre und Selbstüberwachung sagen, was viele hier irgendwie formulieren, nur hört sich das aus dem Mund eines fast 90-Jährigen viel bedeutsamer an.

Wie das Programm schon ein wenig befürchten ließ, fehlten sie in diesem Jahr, die ganz großen Neuentdeckungen. Spannend wurde es immer wieder, wenn nicht über, sondern mit Jugendlichen gesprochen wurde. In denen klar wurde, wie vergeblich Altersbeschränkungen für Spiele sind. Oder Schulsoftware. In denen ein 16-Jähriger sagte, er habe den Appeal von Facebook nie richtig verstanden, nutze das nur, um mit Lehrern oder Eltern zu kommunizieren. Kurz später beim Nachbohren der Moderatorin fast fleht: „Lasst Snapchat in Ruhe. Bitte.“

Verständlich – weil Jugendliche eben keine Lust haben, dass die Erziehungsberechtigten ihnen jetzt da auch noch ständig durchlatschen. Zu ihrem Nachrichtenkonsum befragt, sagte eine Gleichaltrige: „Ich habe mir mal vorgenommen, Zeitung zu lesen. Aber ich kam mit dem Falten nicht klar.“ Und dass sie noch nie ganz verstanden habe, was Podcasts eigentlich sind. Natürlich sind auch das nicht repräsentative Beispiele. Die den durchschnittlichen Besucher der re:publica, der zu Turnschuhen inzwischen graue Schläfen trägt, damit konfrontiert, wie stark sich sein Digitalverhalten von dem von Teenagern unterscheidet. Egal, wie jung er sich noch immer fühlen mag.

Spannend in diesem Zusammenhang die Ankündigung der re:publica-Macher Tanja und Johnny Haeusler, im kommenden Jahr ein Festival für digitale Jugendkultur organisieren zu wollen. Damit wird nicht nur eine Lücke geschlossen, die Haeuslers haben auch immer wieder unter Beweis gestellt, dass das Thema bei ihnen in guten Händen ist. Gefährlich könnte allerdings werden, dass das mit der digitalen Jugendkultur gerade für alternde Turnschuhträger besonders spannend ist.

Nicht, dass am Ende zu viele Erwachsene den Jugendlichen durchs Snapchat-Beet latschen.