„Bioeier braucht kein Mensch“

SCHILLERKIEZ Seit 21 Jahren verkauft „Eier-Lörchen“ vor allem Käfigeier aus dem Alten Land an die Neuköllner Kundschaft. In Neukölln lebt sie schon seit ihrer Geburt, den Schillerkiez verlässt sie nur unter Protest. Aber auf dem Tempelhofer Feld war sie noch nie

■ Der Laden: Geflickter Sperrholztresen, Spitzenbordüren, Küken-Deko. Zum Verkauf: gebrauchte Frauenromane und Humor-Postkarten. Und in den Regalen: Eier, Eier, Eier. In normal oder XL, einzeln zu 16 Cent oder im Zehnerpack. Gerade frisch eingetroffen: dicke Gänseeier mit Federn dran.

■ Die Verkäuferin: Hinter einem mit Gardine abgetrennten Raum blitzt ein blaues Kleid. Zigarette, pinke Fingernägel, Locken. „Tachchen“, die Stimme von „Eier-Lörchen“ ist nikotingesättigt, der Händedruck fest. Sie ist eine Institution im Kiez – und weiß das auch.

■ Der Verkauf: Der Laden befindet sich in der Selchower Straße 10. Öffnungszeiten: Montag und Dienstag 10 bis 13 Uhr, Donnerstag 10 bis 18 Uhr, Freitag 10 bis 18 Uhr, Samstag 10 bis 13 Uhr

INTERVIEW NINA APIN
FOTOS WOLFGANG BORRS

„Vierländer Gold-Ei“ steht auf dem vergilbten und mit Tesaband geflickten Ladenschild. Unter einem Bauernhof mit Mühle ist noch eine alte Postleitzahl angegeben: 2050 Hamburg 80. Hinter der gelb gestrichenen Tür: ein in die Jahre gekommener Verkaufsraum.

taz: Frau … wie heißen Sie eigentlich mit Nachnamen?

Hannelore: Hannelore reicht. Meinetwegen auch „Eier-Lörchen“ oder „Eiertante“, unter den Namen kennt mich die Kundschaft hier im Schillerkiez.

Gut, Hannelore – Sie verkaufen seit 21 Jahren nichts als Eier, bei „Vierländer Gold-Ei“ in der Selchower Straße. Wie geht das, ein Laden nur mit Eiern?

Ich wohne mein ganzes Leben schon in Neukölln, immer hier um den Dreh. Geboren bin ich im alten Neuköllner Krankenhaus im Mariendorfer Weg. Seit 20 Jahren wohne ich in der Weisestraße und kaufte in dem Eierladen immer meine Eier. Früher war der Verkauf in einem kleineren Laden hier auf der Selchower. Und irgendwann sprach ich den Bauer an, ob er vielleicht Hilfe beim Verkauf brauchte. Das Geschäft lief so gut, dass wir uns bald nach einem größeren Laden umsehen mussten. Und seitdem sind wir hier.

Ein Kunde betritt den Laden. Tachchen! Wat darf’s ’n sein?

Kunde: Eine Zehnerpackung XL, bitte.

1,69, bitte. Danke, tschüss!

So, also, ham Se noch Fragen?

Viele. Zum Beispiel, wie das Geschäftsmodell hier funktioniert. Woher kommen die Eier, wer liefert die, wie oft?

Die bringt der Bauer selber. Er hat einen großen Stall im Alten Land bei Hamburg und kommt einmal die Woche, bei Bedarf auch öfter. Schließlich sind wir hier gut im Geschäft.

Wie viele Eier verkaufen Sie denn in einer Woche?

Das will ich nicht genauer sagen, das ist Betriebsgeheimnis, sonst könnten Sie ja auf unseren Umsatz schließen. Aber das sind Interna. Nur so viel: Der Umsatz stimmt, sonst hätten wir uns nicht all die Jahre hier halten können. In einem dieser Kartons sind 200 Eier, wir haben hier einige gestapelt, das können Sie sich ausrechnen. Das muss schon ein großer Stall sein, denn er hat nie Nachschubprobleme. Ich war noch nie ausverkauft. Wie viele Hühner der hat, kann ich nicht sagen, ich war noch nie dort. Mich aus Neukölln rauszukriegen ist schon ein Problem …

Sie verlassen nie den Kiez, in dem Sie geboren sind?

So was von ungern. Bis Hermannplatz oder bis Rathaus Neukölln, okay. Aber dann ist schon Schluss.

Der Kiez um Sie herum hat sich seit Schließung des Flughafens und Öffnung des Flugfelds vor fünf Jahren enorm gewandelt. Wie ist es mit der Kundschaft? Fragt die jetzt immer öfter nach Bioeiern oder den Haltungsbedingungen für die Hühner?

Also, Bio verkaufe ich schon mal gar nicht hier. Das hatten wir mal. Lief nicht, obwohl wir hier ja viele Biotanten haben. Aber die schmeckten scheußlich, ich hab’s selber probiert … Freiland haben wir zwar auch, aber die hier gehen am meisten (tätschelt eine Zehnerpackung „XL-Eier“). Die kaufen große Firmen, Laubenkolonien … Die fahren von sonst woher und tragen die Eier kartonweise raus.

Gibt’s Eier nicht im Supermarkt viel billiger?

Nein, sicher nicht. Eier in dieser Qualität kriegen Sie in keinem der Supermärkte in der Gegend zu diesem Preis.

Ein weitere Kunde kommt. Zwei mal XL-Eier. Ein Mann, der vorher im Pausenraum Kaffee getrunken hat, springt auf und sagt: „Ich mach schon!“

Haben Sie noch einen Mitarbeiter?

Nee, das ist nur ein Kumpel, der aushilft, weil Sie hier sind. Das hält den Betrieb auf. Immer noch Fragen?

Viele. Woran liegt das denn, dass die Eier so gut laufen – nur am Preis wird’s ja nicht liegen. Vielleicht am Geschmack?

Das liegt am Geschmack, am Futter, das die Hühner kriegen.

Es sind ja Käfighühner, Gras von der Wiese werden die wohl nicht kriegen. Was ist das denn für Futter?

Keine Ahnung, fragen Sie den Bauern. Ich füttere sie nicht, ich leg die Eier nicht, ich verkaufe sie nur und weiß, sie schmecken gut. Mittwochs habe ich zu, dann müssen die Kunden woanders kaufen. Hinterher kommen sie dann und sagen: Die anderen Eier haben der Familie nicht geschmeckt. Und dann kaufen sie wieder bei mir. Von einer Kundin weiß ich, dass sie schon mal die Spiegeleier verschiebt, wenn ich zuhabe. Besser, als wenn alle im Essen stochern, sagt sie.

Sie haben sehr treue Stammkunden. Essen Sie selbst auch viele Eier?

Na ja, sonntags meine zwei Frühstückseier. Ansonsten mag ich Eiersalat, Senfeier. Ich nehme nur die großen.

Was haben Sie vor den Eiern gemacht?

Da hatte ich eine Gaststätte in der Kienitzer Straße. Die hieß Marktklause, ich hatte sie sogar gekauft, nicht nur gepachtet. Aber dann habe ich aufgehört.

Warum?

Wegen der Sauferei. Es war gesundheitlich für mich nicht gut, mit meinen Kunden mitzutrinken. Also habe ich mit Mitte vierzig Schluss gemacht.

Jetzt ist dort die Bikerkneipe „Bierbaum3“ ?

Die Jungs habe ich selber reingeholt, man kannte sich aus der Nachbarschaft. Die führen das ganz in meinem Sinne weiter, ein bisschen umgebaut haben sie, aber den Grundstein habe ich gelegt. Deshalb gehe ich da heute auch noch ab und an hin.

Das sind aber doch ziemlich harte Jungs, zumindest optisch: schwarzes Leder, schwer tätowiert, schwere Maschinen vor der Tür. Angst haben Sie da nie gehabt?

(lacht schallend) Ach was, eher haben die Angst vor mir!

Sie sind in Neukölln zur Schule gegangen – hat Sie das gestählt?

Ich war sogar auf der Rütli-Schule, die jetzt so berühmt ist. Aber zu meiner Zeit war das noch alles friedlich da, ich hatte eine gute Kindheit und Schulzeit.

Als Sie Kind waren, war Neukölln ein Arbeiterbezirk. Dann kamen Einwanderer, die das Gesicht der Gegend veränderten. Wie haben Sie diese Veränderungen erlebt?

Ich hatte hier nie Probleme. Ich habe viele Freunde, die aus der Türkei oder wees-ick-nich-woher sind und viel Kundschaft. Das ist alles nicht so getrennt hier im Kiez, wie Sie sich das vorstellen. Der Typ, der den Bierbaum führt, ist zum Beispiel Türke. Es kommt nur auf die innere Einstellung an. Auch die jungen Leute und Studenten, die in letzter Zeit hergezogen sind, stören nicht – außer, dass die Mieten angezogen haben. Das ist der einzige Nachteil, den ich empfinde.

Sind Sie selbst davon betroffen?

Allerdings. Die Besitzer wechseln pausenlos, das ist hier schon der dritte oder vierte, Franzosen diesmal. Aber ich habe einen alten Mietvertrag. Ich bleibe in meiner Wohnung, bis man mich mit den Füßen nach vorne rausträgt. Nur, wer jetzt umzieht, hat natürlich Pech.

Haben Sie Familie?

Nö. Das heißt, eine Schwester. Die lebt irgendwo im Norden von Berlin, mit Familie. Aber die schafft es so selten her und ich geh hier ja nicht raus. Wenn sie nicht kommt, sehen wir uns nicht.

Warum fühlen Sie sich außerhalb Ihres Kiezes so unwohl? Sind Sie nicht mal neugierig auf andere Teile Berlins?

Nö. Ich fühl mich hier wohl, habe alles, was ich brauche. Ich muss nicht weg.

Sie sind aber nicht eine der BerlinerInnen, die noch nie im Osten der Stadt waren, oder?

Das nun auch wieder nicht. Zu irgendwas muss man immer ja mal da hin. Aber der Alexanderplatz oder so – nicht mein Ding. Urlaub mache ich natürlich schon, das ist was anderes. Aber lieber fliege ich nach Ägypten, als dass ich zum Alex fahre.

Und das Tempelhofer Feld, dieser Freizeitpark, der hier entstanden ist, nutzen Sie den?

Ich war noch nie da.

Ach?!

Nö.

Nicht für einen Spaziergang oder Sonnenuntergang?

Nö. Dafür hab ich meinen Jahnpark. Den hatte ich immer und da gehe ich weiter hin, da brauch ich das Feld nicht. Ob die da was bauen oder machen oder tun oder nicht, das ist mir so watt von egal!

Interessiert es Sie wirklich überhaupt nicht, wie das alte Flugfeld jetzt aussieht und was die Leute da so treiben?

„Ich hatte hier nie Probleme. Ich habe viele Freunde, die aus der Türkei oder wees-ick-nich-woher sind“

Nö, dass die Drachen steigen lassen und mit irgendwelchen Dingens flitzen, das sehe ich auch in der Abendschau, dafür muss ich nicht hingehen.

Haben Sie letztes Jahr beim Volksentscheid nicht abgestimmt über die Bebauung?

Nö. Sollen die machen, wie die denken. Ich war sowieso nicht damit einverstanden, dass sie den Flughafen hier weggenommen haben. Das hätten sie mal hübsch bleiben lassen können, den Flughafen für, sagen wir mal, innerdeutsche Flüge offen halten und den anderen da für Langflüge. Dann hätten sie das Dingsda in Brandenburg gar nicht bauen müssen und alles wär gut.

Sie gehören nicht zu den Schillerkiez-BewohnerInnen, die sich freuen, dass der Lärm und der Benzingeruch weg sind?

Hat mich nie gestört! Ich bin ja damit aufgewachsen. Als ich ein Baby war, haben wir in der Richardstraße gewohnt, wo die direkt rüber flogen. Meine Mutter hat mir erzählt, dass ich als Baby alle paar Minuten immer im Bettchen gewackelt habe. Mit meinem Mann wohnte ich später in der Warthestraße. Da konnten wir aus dem Fenster die Piloten im Cockpit erkennen. Das war toll! Wir sind oft in die Gaststätte „Zur Flugschneise“ am Rand des Flugfelds gegangen. Da musste man bisschen lauter reden.

Sind Sie mal von Tempelhof abgeflogen?

Nein, noch nie. Nur meine Mutter ist öfter mal geflogen, der konnte ich dann immer zuwinken. Ich selber bin mal von Tegel, mal von Schönefeld geflogen, je nachdem, wie es am günstigsten war. Schönefeld war mir immer lieber, da hatte immer früh morgens schon was auf, wo man eine schöne Tasse Kaffee trinken konnte.

Noch mal kurz zurück zu Ihrem Geschäft: Sie verkaufen hier auch hin und wieder Fleisch, richtig?

Nur manchmal, das ist nur Beiware, die er besorgt von weiß-ich-nicht-woher. Der Honig ist vom Imker dort. Die Wurst ist von einem befreundeten Fleischfabrikanten hergestellt. Und den Eierlikör macht er selber. Der ist mit Kirschwasser, ganz lecker! Und sonst: Eier, Eier, Eier.

Können Sie manchmal keine Eier mehr sehen?

Die Eier kann ich immer sehen. Aber anstrengend sind die 31 Stunden, die ich im Laden bin, natürlich schon. So ein Karton mit 200 Eiern wiegt 30 Kilo und bis die Eier verkauft sind, habe ich den dreimal in der Hand. Da brauche ich manchmal eine Pause. Schließlich bin ich auch schon 66 Jahre alt.

Und, schon Gedanken an den Ruhestand?

Ich bin schon längst im Ruhestand. Aber ich mache trotzdem noch 31 Stunden die Woche hier im Laden. Wieso sollte ich auch aufhören? Ich brauch Leben und Leute um mich, zu Hause den ganzen Tag irgendwelche affigen Sendungen im Fernsehen gucken, da würde ich doch verrückt werden!

Haben Sie eine persönliche Beziehung zu Ihren Kunden?

Nur zu denen, die uns schon ganz lange treu sind. Zu allen anderen bin ich höflich und freundlich, freue mich, wenn sie kaufen – und gut is.

Und wer Sie schon lange kennt, darf hier im Hinterzimmer auf dem Sofa sitzen und kriegt einen Kaffee?

Nö. Hier hinten kommt mir keiner rein. Das ist mein eigener Pausenraum, ganz privat.

Und wer ist der junge Mann da in dem Bilderrahmen?

Das ist mein Mann. Aber das geht Sie nun wirklich nichts an. Sie sind doch wegen der Eier hier, oder nicht?