: Die Kraft der Pflanzen
THERAPIE In einem Projekt des Roten Kreuzes in Hamburg kümmern sich psychisch Erkrankte um einen Kleingarten. Das soll sie auf die Rückkehr in den Beruf vorbereiten
VON FRIDA KAMMERER
Optisch wirkt Parzelle 23a wie alle anderen Kleingärten des Vereins Reinbeker Redder 611 in Hamburg. Die Beete sind mit Stauden, Lilien und Fingerhüten bepflanzt, auf der großen Wiese in der Mitte wachsen vereinzelt ein paar Osterglocken. Die Terrasse neben der Laube hat einen Sichtschutz aus Weidenästen. Ungewöhnlich ist hier nur die kleine Gärtnergruppe. Seit Februar vergangenen Jahres pflanzen und jäten hier psychisch erkrankte Menschen – ein Projekt des Deutschen Roten Kreuzes.
Die Teilnehmer leiden unter Depressionen oder Angst und Panikattacken. Die Arbeit im Garten und in der Laube solle ihnen helfen, sich wieder besser in den Alltag einzufinden, sagt die Leiterin der psychiatrischen Hilfe des DRK, Dagmar Groth-Bick. Normalerweise kämen sechs Klienten, wie sie die Teilnehmer nennt. Heute sah es nach Regen aus, deshalb sind sie im Garten nur zu viert.
Katrin Jonuscheit zupft etwas Unkraut und wirft es in einen schwarzen Eimer. Die 33-Jährige ist seit 2009 wegen Depressionen in Behandlung. Für sie als Floristin ist das Projekt ideal: „Ich kann immer wieder mein eigenes Wissen abrufen, sehe was ich noch kann oder was ich in meinen schlauen Büchern nachschlagen muss“, sagt sie.
Noch fühlt sie sich nicht belastbar genug, um wieder arbeiten zu gehen und wird unruhig, wenn sie über ihren Job spricht. Durch das Garten-Projekt ist Jonuscheit wieder belastbarer, kann drei Stunden am Tag arbeiten. Wenn sie fünf Stunden durchhielte, könnte sie wieder eine Halbtagsstelle antreten – ihr „absolutes Primärziel“, wie sie sagt.
Jonuscheit hat das DRK-Projekt selbst mit auf die Beine gestellt. „Die Klienten hatten die Idee zu dem Schrebergarten“, erklärt Leiterin Groth-Bick. Im alten DRK-Standort gehörte eine Dachterrasse zu den gemieteten Büros, schon da haben manche Klienten in ein paar Blumenkästen Tomaten angepflanzt. Sogar für eine kleine Laube auf der Terrasse hat es gereicht – die Heizung war aber immer kaputt, grade im Winter war das unpraktisch. Die Laube im Kleingarten hat eine Heizung – und sie funktioniert. Das Objekt hat das DRK von einem alten Ehepaar übernommen. Beide konnten den Garten nicht mehr pflegen.
Sie habe das den Pflanzen angesehen, sagt Jonuscheit. Die Bäume und Sträucher hätten dringend zurückgeschnitten werden müssen, nachdem der Garten fast zwei Jahre brachlag. Jetzt wird das Stückchen Grün montags und freitags für jeweils zwei Stunden beackert. Die Klienten können sich auch außerhalb des Zeitraums um die Pflanzen auf dem Grundstück kümmern. Immer wieder kämen Klienten vorbei, um sich den Garten anzusehen, aber „viele trauen sich noch nicht zu, so viel zu arbeiten“, sagt Groth-Bick.
Jonuscheit zeigt hinter die Laube: „Da soll ein Gewächshaus für Tomaten und andere Pflanzen hin, außerdem ein Geräteschuppen und das Zeug hier soll weg.“ Mit Zeug meint sie ein blaues Damenrad und verschiedene Geräte. Die Pflanzen hat sie schon in Töpfe gerettet. Wobei „Töpfe“ nicht ganz richtig ist: Sie hat die Pflanzen in Eimer und Joghurtbecher gepflanzt. Im Garten scheint es der 33-Jährigen richtig gut zu gehen. Zuletzt musste sie Erwerbsminderungsrente beantragen, weil sie schon so lange erwerbsunfähig ist. Wenn sie davon erzählt, wirkt sie geknickt, wird steif und wortkarg. Über die Pflanzen spricht sie hingegen gern. Erklärt, dass Lavendel der natürliche Feind von Blattläusen ist und man sich so die Pestizide sparen kann. Zeigt den Blattsalat, der unter einem Schutzflies liegt, und erklärt wieso sie die Rosen so stark runtergeschnitten hat. Stolz erzählt sie, dass die Johannisbeersträucher letztes Jahr drei Kilo Früchte eingebracht haben. Bei den Kirschen waren sie leider zu spät: Die Vögel hatten schon alles abgefressen.
Der Garten wird nicht nur von den sechs Teilnehmern genutzt, die sich um die Beete und die Laube kümmern. Auch eine Koch- und Frühstücksgruppe geht hier ein und aus. Es werden Zutaten zum Kochen gesammelt. Dafür gibt es ein Kräuter- und Nutzbeet. Die Beete am Eingang sind nur mit Zierpflanzen bepflanzt. Dabei achtet Jonuscheit darauf, dass sich manche Pflanzen nicht zu breitmachen. Physalis sind zweijährig und vermehren sich über die Wurzeln. „Da muss man ein Auge drauf haben“, sagt Jonuscheit.
Zwar hört die Arbeit im Garten nie auf, aber die Gruppe hat schon Pläne für die Laube geschmiedet, die die Vormieter „Villa Kunterbunt“ getauft haben. Eine Küche soll eingebaut und der alte Teppich ausgetauscht werden. Die kleine Laube hat sogar einen Dachboden – allerdings ist der instabil. Nur der Weg zum Balkon ist sicher, sonst kracht man durch die Decke. Die Teilnehmer wollen den Dachboden nun ausbauen. Das Material wird vom DRK bezahlt, die Umbauten machen die Klienten.
Auch sonst ist einiges zu tun: Die Terrasse soll vergrößert werden, hinter das Haus kommt ein Geräteschuppen, dazu das Gewächshaus. Darauf freut sich Jonuscheit. Dann kann sie das ganze Jahr über gärtnern – und irgendwann wieder zurück in ihren Beruf.