: Freispruch trotz Manipulationen
ORGANSPENDEPROZESS Göttinger Arzt hat Patientendaten falsch übermittelt und dadurch weniger Kranken zu einem Spenderorgan verholfen. Das ist moralisch verwerflich, aber keine Straftat, sagt das Gericht
GÖTTINGEN taz | Blass sieht der Angeklagte aus, als er am Mittwochmorgen in Begleitung seiner Verteidiger Saal 25 B des Göttinger Landgerichts betritt.
Aiman O., 47, zeigt auch keine Regung, als der Kammervorsitzende Ralf Günther wenige Minuten später das Urteil verkündet: Freispruch. Aus „tatsächlichen und rechtlichen Gründen“. Gleichzeitig hebt das Gericht den zuvor unter Auflagen außer Vollzug gesetzten Haftbefehl auf.
Die Staatsanwaltschaft dagegen wollte den Chirurgen für acht Jahre im Gefängnis sehen. Sie hatte zudem ein lebenslanges Berufsverbot als Transplanteur gefordert. Der Mediziner war wegen versuchten Totschlags in elf Fällen und Körperverletzung mit Todesfolge in drei Fällen angeklagt worden. Er habe bei der Meldung von Daten seiner Patienten gegenüber der zentralen Vergabestelle von Spenderorganen falsche Angaben gemacht, indem er etwa Dialysen angab, die gar nicht stattfanden. Dadurch seien diese Patienten auf der Warteliste nach oben gerückt. Andere, schwerer Erkrankte hätten deshalb keine Organe bekommen und seien möglicherweise gestorben. Außerdem habe sich der Arzt über eine Richtlinie der Bundesärztekammer hinweggesetzt, nach der Alkoholiker vor Ablauf einer sechsmonatigen Abstinenzzeit keine Organspende erhalten dürfen.
Den Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge hat die Staatsanwaltschaft damit begründet, dass O. in drei weiteren Fällen Lebern verpflanzt habe, obwohl dies medizinisch gar nicht geboten gewesen sei. Die Manipulationen hat es gegeben, davon ist auch das Gericht überzeugt. In acht der elf verhandelten Fälle wurden sie demnach auch von dem Beschuldigten selbst vorgenommen oder veranlasst. Das sei moralisch zu missbilligen, zum Tatzeitpunkt aber nicht strafbar gewesen, so Richter Günther. Das Transplantationsgesetz war erst zum 1. August 2013 verschärft worden, die Falschangaben datieren früher.
Es sei auch nicht bewiesen, so das Gericht, dass andere Menschen durch die Falschangaben gestorben seien. Die Richtlinie der Ärztekammer zur Alkoholabstinenz bezeichnet Günther in seiner Urteilsbegründung als verfassungswidrig. Das Grundgesetz gewähre jedem Menschen das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Mit Blick auf den Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge kommt das Gericht zu dem Schluss, dass die von dem Angeklagten vorgenommenen Operationen „Heilzwecken gedient“ haben. REIMAR PAUL
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