: Freie Fahrt für gegenseitige Vorwürfe
BAHNSTREIK Der siebentägige Ausstand beginnt mit einem Verbalabtausch zwischen Bahn und Gewerkschaft
VON PASCAL BEUCKER
BERLIN taz | Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) macht Ernst. Der Streikmarathon hat begonnen. Bis Sonntag sollen die Räder sowohl im Güter- als auch im Personenverkehr stillstehen. Das wäre der längste Ausstand in der Geschichte der Deutschen Bahn (DB). „Wir wissen, dass die Bahnkunden nicht vor Begeisterung am Bahnsteig stehen und klatschen“, sagte GDL-Chef Claus Weselsky kurz vor Streikbeginn in Berlin. Aber seiner Gewerkschaft bleibe keine andere Wahl. „Die Eskalation verursacht die Deutsche Bahn AG.“
Damit hat die seit zehn Monaten andauernde Tarifauseinandersetzung bei der Bahn einen neuen Höhepunkt erreicht. Von einem „Schlag ins Gesicht“ der Bahnkunden und -mitarbeiter sprach DB-Personalvorstand Ulrich Weber am Montag in Berlin. Die Bahn arbeitet fieberhaft an Notfallfahrplänen. Sie hofft, rund ein Drittel der Fernzüge fahren lassen zu können. Im Nahverkehr sollen es je nach Region 15 bis 60 Prozent sein.
Es bestehe „keinerlei Anlass für diese überzogenen Streiks“, sagte Weber. Die GDL habe „jedes Maß und jedes Verantwortungsgefühl verloren“. Der Konzernmanager rief die Lokführergewerkschaft auf, der Einschaltung eines neutralen Schlichters zuzustimmen. Das könne „der Königsweg“ sein.
Das sieht Weselsky völlig anders. „Wir werden in keine Schlichtung gehen, weil wir grundgesetzlich geschützte Rechte in keine Schlichtung bringen“, sagte er. Anstatt sich ernsthaft um eine Verständigung zu bemühen, führe der Bahnvorstand eine „Schmierenkomödie“ auf. Tatsächlich setze er auf das für Sommer geplante Tarifeinheitsgesetz (siehe unten), um künftig wieder alleine mit der ihm genehmeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) preiswertere Tarifverträge abschließen zu können.
Ein Vorwurf, den Personalvorstand Weber entschieden zurückwies: „Wir spielen nicht auf Zeit und wir warten auch auf kein Gesetz.“ Die Bahn wolle eine Einigung mit beiden Gewerkschaften, versicherte er.
Einer der Hauptstreitpunkte ist die von der GDL verlangte Gleichbehandlung der Lokrangierführer mit den Lokführern. Die würden bisher von der Bahn als „Billig-Lokomotivführer“ missbraucht, kritisiert die Gewerkschaft. Zudem will die GDL neben 5 Prozent mehr Lohn auch noch eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit um eine auf 38 Stunden sowie eine Begrenzung der Überstunden auf 50 Stunden im Jahr. Die Bahn bietet bislang nur eine zweistufige Lohnerhöhung um insgesamt 4,7 Prozent plus einer Einmalzahlung von 1.000 Euro an – was damit zu tun hat, dass die EVG keine Arbeitszeit- und Überstundenreduzierung, sondern nur eine prozentuale Lohnerhöhung von 6 Prozent verlangt.
Es ist der achte Streik in diesem Tarifkonflikt. Die Ausstände kosteten die Bahn nach eigenen Angaben rund 200 Millionen Euro. „Ein Bruchteil davon würde für einen Tarifabschluss für das DB-Zugpersonal benötigt, selbst wenn alle unsere Forderungen erfüllt würden“, kritisierte GDL-Chef Weselsky. Er warf dem Bahnvorstand daher vor, Fahrgäste und Frachtkunden zum Spielball seiner Machtinteressen zu machen.
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