Geschichtenerzähler mit Soul und Berliner Blues

LIEDER „Rotes Tuch“ heißt das neue Album des Liedermachers – heute feiert Manfred Maurenbrecher seinen 65. Geburtstag

„Arbeit ist etwas, das mir wirklich guttut“

MANFRED MAURENBRECHER

VON JENS UTHOFF

Das Wort „Liedermacher“ hat einen eigenartigen Klang. Denkt man an einen solchen, mag man an einen leicht kauzigen, eigenbrötlerischen, in jedem Falle charakteristischen Typus Mensch denken, der, nun ja, eben Lieder macht. Der linke Liedermacher – falls so eine Kategorisierung sinnig ist – hat in Deutschland eine besondere Tradition; man denke an Franz Josef Degenhardt, Hannes Wader und, unvermeidlich, an Wolf Biermann.

Manfred Maurenbrecher ist ein solcher Liedermacher, allerdings sitzt er am Piano und hat keine Klampfe umgehängt wie die meisten seiner Berufsgenossen. Die Bezeichnung Liedermacher findet er für sich absolut zutreffend: „Es gab eine ganze Generation von Journalisten, die versucht haben, es als peinlich erscheinen zu lassen, dass man Lieder schrieb“, sagt er bei einem Gespräch in der Wilmersdorfer Kneipe Straßenbahn. „Ich habe immer gesagt: Ihr könnt mich Liedermacher nennen. Das ist meine Tätigkeit.“

Dieser Tätigkeit geht der gebürtige Westberliner, der am heutigen Samstag seinen 65. Geburtstag feiert, seit den frühen Achtzigern nach. Über 20 Alben hat er veröffentlicht, kürzlich erschien sein neues Album „Rotes Tuch“. Obwohl Maurenbrecher konstant auf hohem Niveau Texte zwischen politischem Lied, Alltagsbeobachtung und schnoddrigem Chanson schreibt, bleibt er bis heute ein „Geheimtipp auf Lebenszeit“, wie die FAZ Anfang der 90er Jahre treffend über ihn schrieb. Maurenbrechers Definition von Erfolg aber ist sowieso nicht Ruhm um jeden Preis: „Es ist doch toll, dreißig Jahre lang das machen zu können, was man gerne macht, ohne allzu viel Kompromisse eingehen zu müssen“, sagt er, „etwa ohne Barpianist zu sein.“

Brummige Stimme

Maurenbrecher sitzt am Nachmittag vor einem Auftritt in der Kneipe, neben ihm Gitarrist Marco Ponce Kärgel, der seit knapp 20 Jahren mit ihm zusammenarbeitet und auch am neuen Album beteiligt war, das mit kompletter Band eingespielt wurde. Maurenbrecher – charakteristische brummige Stimme, Hornbrille, lange, strähnige Haare – spricht darüber, dass es ihm einfach nicht gelingt, nichts zu tun. „Ich fühle mich unwohl, wenn ich lange nichts tue“, sagt er, „Arbeit ist etwas, das mir wirklich guttut.“ Wenn er keine Lieder schreibt, schreibt er Texte oder Bücher (etwa „Fast so was wie Liebe“, 1989). Wenn er keine Bücher schreibt, reist er durch die Welt – und schreibt währenddessen wieder.

An Arbeit mangelte es selten in Maurenbrechers Leben. Als er 1981 gerade seine literaturwissenschaftliche Promotion abgeschlossen hatte, begann seine Musikkarriere. Maurenbrecher, aus großbürgerlicher Familie aus dem Rheinland stammend, traf damals auf Herwig Mitteregger von der zu der Zeit recht angesagten NDW-Band Spliff. Der nahm mit ihm auf und lotste Maurenbrecher, der zuvor in der Polit-Folk-Gruppe Trotz & Träume spielte, gleich zum Major-Plattenlabel CBS. Die wissenschaftliche Karriere hatte sich damit erledigt, 1982 erschien sein Solodebüt. „Und dann bin ich dabei hängen geblieben.“ Maurenbrechers Promoter wurde damals Jim Rakete. Richtig viel verkauft aber, sagt der Künstler heute, habe er nie. „Das meiste waren, glaube ich, 15.000 Stück von einem Album. “

Ende der 80er Jahre war CBS dann für Maurenbrecher Geschichte. Seither veröffentlicht der auch in der Lesebühnenszene verankerte Liedermacher auf kleineren Labels. Mit „Rotes Tuch“ hat er nun ein Album veröffentlicht, das in erster Linie zeigt, welch guter Erzähler er ist. Einige Songs, etwa das sehr schöne „Wer hat, der kriegt“ über die Entwicklungen im Kulturbetrieb und im Bildungskatastrophenland Deutschland, bezeichnet er als Reportagen: „Sie beinhalten ja Charaktere, die ich beobachtet habe und von denen ich erzähle.“ Sie seien höchstens leicht überzeichnet, sagt er.

In dem Lied „Kiewer Runde“, das vom Ukrainekonflikt und der Berichterstattung darüber handelt, wundert man sich zunächst ob der schlichten Zeichnung der im Text vorkommenden Figuren – durch eine ironische Wendung am Schluss bricht Maurenbrecher die kleine Erzählung aber. Trotz der Pointe („Du machst uns zu Klischees / Und ich sag: Ey, was habt denn ihr geglaubt / Ich sing für Massen / und brauch ein massentaugliches Lied“) irritieren hier die so klar gezeichneten Stereotype – Journalisten, gefügige Grüne, Putintreue – und die allzu üblich gewordene Kritik an den „Mainstream“-Medien.

Davon abgesehen hat „Rotes Tuch“ starke Stücke wie den Eröffnungssong „Rolle Rolle Rolle“ oder „Anderes Blau“, einige weitere große Stücke zwischen Blues, Soul, Hammondgeorgel und ruhiger Barmusik – und wenige Tracks, die etwas abfallen.

Ohne Parteibuch

Obgleich er immer politische Lieder schrieb, habe er nie einer Partei beitreten wollen. Dennoch rief er im Jahr 2009 dazu auf, die Linke zu wählen – weil es die „Aussicht auf eine rot-rot-grüne Regierung“ gab. In den frühen Zeiten der Grünen stand er diesen nah – 1983 war er bei deren musikalisch unterfütterten Wahlkampfveranstaltungen der „Grünen Raupe“ dabei.

Am besten ist Maurenbrecher, wenn er Geschichten vertont. Wie etwa beim Schubert’schen Liedzyklus „Winterreise“, den er mit Kärgel einspielte. Und auch, wenn er sich diesem althergebrachten Stoff aus der Romantik widmet, denkt man sich: Einer wie Maurenbrecher hat, bei all dem Ramsch, der unter der Bezeichnung Liedermacher so unter’s Volk gebracht wird, durchaus seine Berechtigung.

■ Manfred Maurenbrecher: „Rotes Tuch“ (Reptiphon/Broken Silence) live 12.–16./19.–23. Mai mit anderen im Rahmen der „30 Jahre Mehringhof-Theater“-Festivitäten