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: Dem Film wird ein wenig soziologisch zumute

„Der sanfte Lauf“ (Regie: Haro Senft, Deutschland 1967), ab rund 15 Euro im Handel erhältlich

Bernhard Kral (Bruno Ganz) hilft im Antiquitätenshop eines Freundes nur aus. Zwischen Möbeln, Uhren, Lampen und anderen Dingen trifft sein und unser Blick auf Johanna (Verena Buss). Es beginnt ein Flirt, an dem sich die Kamera in rasch wechselnden Einstellungen gern beteiligt. Dann wird Bernhard sehr direkt: „Sie gefallen mir“, sagt er. Sie gehen tanzen, es sind Freunde von Johanna dabei. Sie tanzen den Shake. Musik ist wichtig im Film, Jazz von Erich Ferstl schon ganz am Anfang, auch später und am offenen Schluss. Kurz darauf sind Bernhard und Johanna miteinander im Bett mit Großaufnahmen von Oberkörpern, Köpfen und Haaren. Dann sind sie ein Paar. Einfach so ein Liebesfilm ist „Der sanfte Lauf“ jedoch nicht.

Bernhard arbeitet im Versand eines Elektroherstellers. Johanna kommt aus reicher Familie. Der Vater ist Unternehmer, konservativ, das versteht sich. Bernhard lernt Johannas Eltern bald kennen. Sie sind mit Freunden versammelt im großen Haus und im noch größeren Garten im Vorort von München. Hier wird dem Film ein wenig soziologisch zumute. Er belauscht die Gespräche dieser Vertreter der besseren Gesellschaft, die wie aufgesagt klingen, verbleibt aber in der leicht distanzierten Beobachterperspektive. Ohnehin wird die ganze Zeit sehr viel geredet, ohne dass klar ist, wie sich dieser Ballast aus papierenen Sätzen zur eleganten Kameraarbeit in Schwarz-Weiß von Jan Curík, zum Jazz, zur eher leichtfüßigen Montage verhält.

Es wird auch nicht klarer bei einem Ausflug nach Prag, wo Bernhard aufwuchs. Es ist die Zeit kurz vor dem Prager Frühling, Besuch bei einem Professor, Fahrten und Gänge durch die Stadt. Eine andere Welt, eine Auszeit. Als Bernhard zurück ist, steigt er auf in der Firma und muss erfahren, dass er es nur dem Vater von Johanna verdankt. Es kommt zum Konflikt, aber Bernhard ist kein Rebell. Vom politisierten Achtundsechziger-Milieu ist hier wenig zu spüren, aber auch von den swingenden, an Nouvelle Vague und Hollywood orientierten Schwabing-Filmen von Rudolf Thome oder Klaus Lemke scheint Haro Senfts Spielfilmdebüt sehr weit entfernt.

„Der sanfte Lauf“ ist das sehr vergessene Werk eines ziemlich vergessenen Regisseurs. Dabei war Haro Senft seinerzeit ein Rebell, der entscheidende Initiator hinter dem bis heute gern erinnerten Oberhausener Manifest von 1962, das mit Papas Kino Schluss machen wollte, mit dem kommerziellen Komödien- und Heimatfilm-Muff, der in Deutschland regierte. Was die Oberhausener dann selbst produzierten, war von wenigen Ausnahmen– und vor allem dem Werk Alexander Kluges – abgesehen allerdings auch nicht so überzeugend. Das hatte viel damit zu tun, dass sich hinter dem rebellischen Gestus ein emphatischer Begriff von Film als Kunst verbarg, der selbst gerade dabei war, zum Anachronismus zu werden. Rebellion und Affirmation der Popkultur zusammenzudenken, ist den Oberhausenern nicht gelungen. Sie waren zu beflissen, glaubten zu genau schon zu wissen, was Kunst ist und was nicht. Zur Revolution der deutschen Filmförderkultur hat es gereicht, zur deutschen Nouvelle Vague aber nicht.

Haro Senft hat nach dem „Sanften Lauf“ weiter Filme gedreht. Erst fürs Fernsehen, Kurzfilme für die rotzfreche Kindersendung „Rappelkiste“, dann als hoch geachteter Kinderfilmregisseur. Vor vier Jahren hat er die Berlinale-Kamera erhalten, im DVD-Extra kann man Dieter Kosslick beim Besuch von Senfts Münchner Wohnung sehen. Mühsam liest der Berlinale-Chef die Laudatio vom Blatt. Haro Senft, Vollbart und lange Haare, bedankt sich mit einer freundlich kämpferischen Rede: ein sanftes Monument aus einer anderen Zeit. EKKEHARD KNÖRER