WENN ES UM DIE BETREUUNG VON KINDERN AUSSER HAUS GEHT, WERDEN ZU VIELE GRUNDSATZDEBATTEN GEFÜHRT. STATTDESSEN GEHÖRT ENDLICH ZUR KENNTNIS GENOMMEN, WIE IM WIRKLICHEN LEBEN GEARBEITET WIRD
: Acht Stunden sind kein Tag

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

Von acht bis vier, so waren die Öffnungszeiten der Kita meiner Kinder, als die noch in die Kita gingen. Von acht bis vier, das sind immerhin acht Stunden und es ging, irgendwie. Die Eltern, die um acht schon arbeiten mussten, konnten ihr Kind eigentlich nicht um acht in den Kindergarten bringen, die Eltern, die um vier noch arbeiten mussten, konnten es eigentlich nicht um vier Uhr abholen. Wie Eltern, die arbeiteten, es überhaupt machten, weiß ich nicht.

Als ich Kind war, in der DDR, da war fast jedes Kind von morgens bis abends im Kindergarten. Von morgens bis abends hieß von ungefähr sieben Uhr bis ungefähr 17 Uhr. Ab 17 Uhr ging das Abholen los. Es arbeiteten fast alle Mütter, Hausfrauen gab es nicht, und der Kindergartenplatz war kostenlos. Über die Qualität der Betreuung hätte man diskutieren müssen. Aber darüber, dass Kinder betreut werden müssen, nicht – weil es keine andere Möglichkeit gab.

Heute gibt es auch oft keine anderen Möglichkeiten, aber die Öffnungszeiten der meisten Kitas gehen vollkommen am Arbeitsleben vorbei: Wer als Kassiererin im Supermarkt arbeitet, als Servicekraft in der Gastronomie, als Krankenschwester und als Busfahrer: der kann mit Öffnungszeiten von acht bis vier wenig anfangen.

Die frauenpolitische Sprecherin der CDU in Schleswig-Holstein, Katja Rathje-Hoffmann, kritisiert jetzt, dass die 24-Stunden-Betreuung in Schleswig-Holstein quasi eine Ausnahme ist, und fordert mehr Kitas, die diese durchgängige Betreuung anbieten: Eltern, die in der Nachtschicht arbeiten, insbesondere Alleinerziehende, die im Schichtdienst arbeiten, benötigen auch eine Betreuung über Nacht. Auf ihre Anfrage an das Sozialministerium hin bekam Rathje-Hoffmann mitgeteilt, ein Antrag der Heimaufsicht auf eine Betriebserlaubnis für eine 24-Stunden-Kita liege in Schleswig-Holstein derzeit nicht vor. Aber auch, zum Beispiel, in Hamburg gibt es kaum 24-Stunden-Kitas. Dabei sind sie vor allem in Großstädten dringend notwendig.

Auch wenn es Kritik an dieser Form von Betreuung gibt. Auch wenn es heißt, die Kinder würden abgeschoben, krank, geschädigt jedenfalls. Auch wenn man den Eltern mangelnde Fürsorge und gar Egoismus vorwirft. Da wird sich auf alte Werte bezogen, alte Familienstrukturen werden romantisiert, obwohl auch in der Vergangenheit und in der Familie – auch wenn Mutter früher zu Haus war, während Vater arbeiten ging – vieles im Argen lag, und die Ansichten über eine „gute Erziehung“ heute nicht nur als überholt gelten, sondern deren Vollzug als psychische und körperliche Misshandlung. Vom Missbrauch in der Familie ganz zu schweigen.

Nein, die Familie war noch nie ein Ort der Harmonie, das Kind ist im privaten Umfeld nicht sicherer vor Missbrauch und Misshandlung, Verwahrlosung und Lieblosigkeit, auch wenn die Eiferer ihren Hass über Alleinerziehende ausschütten, die ja sowieso schuldig sind, weil sie nicht mehr bei ihrem Partner leben und es also nicht geschafft haben, dem Kind die Familie zu erhalten.

Selbst wenn man all diese Schuldfragen beiseite lässt, bleibt die Tatsache, dass die Öffnungszeiten von Kitas und die realen Arbeitszeiten in keinem Verhältnis stehen. Dass eine Mutter, die bei Lidl an der Kasse arbeitet, ihr Kind erst nach acht abholen kann. Oder vor acht abgeben muss. Dass die, die Nachtdienst im Krankenhaus schiebt, ihr Kind auch in der Nacht unterbringen können muss. Weil die Umstände so sind. Weil wir uns die Welt nicht danach einrichten müssen, wie wir sie gerne hätten.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr neuer Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.