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Archiv-Artikel

Schwitzen, schnaufen, brüllen, fallen

MUSKELSPIELE Natürlich zählt beim Wrestling die große Show – die aber ohne Arbeit nicht zu haben ist. Seit 20 Jahren kämpfen die Brüder Ahmed und Hussein Chaer mit ihrer Neuköllner Wrestling-Schule dafür, den Sport auf die große Bühne zu bringen

Gefährlich wirkt er, während er durch die Luft fliegt

VON JURI STERNBURG

Wie paralysiert saßen wir damals vor dem Fernsehgerät. Nur in den Werbepausen durfte gefachsimpelt werden: Bodyslam, Body Scissor oder Flapjack, man kannte die wichtigen Fachbegriffe oder tat zumindest so. In den frühen 90er Jahren, als das amerikanische Wrestling in Deutschland medial seinen Höhepunkt erreichte, brauchte man sich dienstags erst gar nicht in die Schule trauen, wenn man das „Monday Night Wars“ genannte Montagsmatch nicht gesehen hatte.

Die „Wrestlemania“ war der Ort der starken Männer und der verrückten Feindschaften – oder die Telenovela der pubertierenden Jungs, wenn man in Geschlechterklischees denkt. Ob der schnauzbärtige Hulk Hogan, Alleskönner Bret „Hitman“ Hart oder der Undertaker, der seine Gegner nach deren Niederlage lebendig in einen Sarg verfrachtete, sie alle waren für uns die größten lebenden Kämpfer. Zumindest, bis man mit den Jahren bemerkte, dass das Ganze wohl doch mehr Choreografie als echte Prügelei war.

Bei Ahmed (Kampfname „Crazy Sexy Mike“) und Hussein Chaer halten die Euphorie und der Enthusiasmus bis heute an. Auch sie schauten sich die Kämpfe im Fernsehen an, auch für sie waren die Sportler aus den USA die Größten – doch im Gegensatz zu den meisten Fans begannen die beiden damals schon mit dem Training, warfen sich durchs Kinderzimmer und eiferten ihren Idolen nach. Es eines Tages in die damals übermächtige WWF, die World Wrestling Federation, zu schaffen war ihr Traum. Um irgendwann doch feststellen zu müssen, dass daraus nichts wird. Sie sind keine Zweimeterhünen, die Profiliga war zu weit weg. Und in Deutschland hat Wrestling auch nie den Stellenwert erreicht wie in den USA, die goldenen 90er scheinen hier nur eine kurze Welle der Begeisterung gewesen zu sein.

Aufgegeben aber haben die beiden bis heute nicht. In Neukölln betreiben sie eine eigene Wrestling-Schule, offen für jeden, der Spaß am Sport und etwas Showtalent hat. Bereits 1995 begannen sie mit ihrer Schule, zuerst in einem kleinen Kreuzberger Atelier. Damals waren Hussein und Ahmed 18 und 16 Jahre alt. Bis heute lautet das Ziel: Wrestling in Deutschland zu etablieren, den Sport hierzulande auf die große Bühne bringen.

Etwa 30 Wrestling-Schüler schwitzen und keuchen beim Training in der Sporthalle in der Sonnenallee. „Wenn der Körper nicht nach Profi aussieht, dann kann man noch so gut sein. Dann muss man schon übermenschliche Leistungen bringen, um es in die Mainshows zu schaffen“, feuert der Trainer seine Sportler an. Die Antwort: Schnaufen. Die Gesichter sind angespannt, der Blick ist fokussiert.

Die Truppe ist eine bunte Mischung. Und Muskelberge scheinen hier kein Muss zu sein, was die beiden jungen Frauen beweisen, die beim Training problemlos einen der 90-Kilo-Männer auf die Matte wuchten.

Auch Orlando ist nicht das, was man „austrainiert“ nennen würde. Aber er hat den Showfaktor. Vor drei Monaten ist er aus Mexiko, der Heimat der bunt maskierten Luchadores-Wrestler, nach Berlin gekommen. Seit einigen Wochen trainiert er jetzt in der Schule der Brüder. „Niemand hier kann auch nur ein Wort Spanisch, aber alle verstehen ihn“, lacht Hussein. Auch sein Outfit fällt auf: Während alle anderen in schwarzer Trainingskleidung auflaufen, hat Orlando sich in blaue Leggins mit silbernen Flammen gezwängt. Tattoos und einige Piercings vervollständigen das Bild. Nach jeder Übung und nach jedem Wurf reckt Orlando die Fäuste in die Luft, brüllt spanische Verwünschungen und trommelt sich auf die Brust. Nach dem Kampf wird er wieder zu einem lustigen mexikanischen Mann in bunten Strumpfhosen.

Dass Wrestling aber nur Theater sei, dem würden hier im Raum doch alle widersprechen. Athletik ist eine Voraussetzung für die durchchoreografierten Kämpfe, Verletzungen sind keine Seltenheit. Aber auch schauspielerische Übungen werden absolviert. Es gehört dazu, sich schmerzverzerrt über den Boden zu rollen, obwohl man genau weiß, wie man fallen muss, ohne sich dabei wehzutun.

Hussein und Ahmed Chaer arbeiten beide auch als Stuntmänner. Vom Wrestling allein können die wenigsten leben. Schon deshalb erklären die beiden Trainer ihren Schülern immer wieder Griffe aus dem Stunt-Bereich, auch die Lehrlinge sollen in Zukunft ihre Brötchen beim Film verdienen können.

Denn während in den USA fast täglich riesige Wrestling-Events stattfinden, ist das Angebot hierzulande spärlicher gesät. „Als wir angefangen haben, gab es vielleicht drei, vier Shows im Jahr“, sagt Hussein. „Inzwischen hat sich das zum Glück geändert. Dennoch legen wir Wert darauf, dass sich die Anfänger erst mal in Anfängerkämpfen beweisen.“

Verheizt werden soll niemand, das bringt weder den Trainern noch den Zuschauern etwas. Der sportliche Überflieger der Gruppe scheint Ivan Kiev zu sein. Alle Übungen absolviert er mit Leichtigkeit. Jeder Muskel, jede Sehne an seinem Körper ist zum Zerreißen gespannt. Gefährlich wirkt er, während er durch die Luft fliegt. Sobald die Übung vorbei ist, wird er jedoch wieder zu Igor. Verhalten, beinahe schüchtern nimmt er den Applaus der Kollegen entgegen.

Ein weiterer Hinweis darauf, dass Wrestling eben nichts mit brutaler Ellbogenmentalität zu tun hat, sondern die Kämpfer erst im Ring zu den Kampfmaschinen werden, die sie verkörpern. Alles folgt einem Plan. Im Idealfall haben die Kämpfer ausgeklügelte Biografien und zelebrieren ihre inszenierten Fehden mit Gegnern in aller Öffentlichkeit.

Im großen Geschäft ist es keine Seltenheit, dass die Show um den Kampf bombastischer ist als der dann selbst. Was in einer Neuköllner Turnhalle verständlicherweise etwas komplizierter zu bewerkstelligen ist. Pascal Krieger, Berlin-Champion und einer, der die 100 Kilo Kampfgewicht locker übertreffen dürfte, ist so ein Kandidat für die große Show. Neben seinem kurzzeitigen Engagement bei einer Soap im Privatfernsehen scheint er die nötige Mischung aus Entertainment und körperlicher Fitness mitzubringen.

Als Pascal Spalter wird er am 2. Mai in einem Kampf „Schüler versus Lehrer“ gegen Ahmed alias Crazy Sexy Mike im Shake-Zelt am Ostbahnhof antreten. Dort finden einmal im Monat die „Berlin Wrestling Night“ statt, mit wachsendem Erfolg. Zuletzt, sagen die Brüder, musste man viele nach Hause schicken: „Volles Zelt.“

In diesem sitzen bei der nächsten Wrestling-Nacht neben den regulären Fans dann bestimmt auch ein paar unwissende Steppkes – und kriegen große Augen.

■ Berlin Wrestling Night 32 am 2. Mai im Shake-Zelt, Am Postbahnhof 1 , 19 Uhr. Information: www.gwf-wrestling.com