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Archiv-Artikel

Die Wodkaleber von Frau F. und der schnelle Doktor O.

JUSTIZ Die Staatsanwaltschaft fordert eine lange Haftstrafe im Göttinger Organprozess

GÖTTINGEN taz | Die Leber von Frau F. war hinüber. Kein Wunder bei der halben Flasche Wodka, die sie über einen langen Zeitraum täglich in sich hineinschüttete. Die Medizinische Hochschule Hannover lehnte im April 2010 eine Transplantation des Organs unter Verweis auf den anhaltenden Alkoholmissbrauch von F. ab.

Von der Universitätsmedizin Göttingen wurde F. nicht abgewiesen. Die Transplantationsabteilung des Klinikums meldete sie bald nach der Aufnahme mit der zweithöchsten von 34 Dringlichkeitsstufen bei der zentralen Vergabestelle für Spenderorgane, Eurotransplant, an. Schon wenige Tage später hatte F. eine neue Leber. Der damalige Chef der Göttinger Transplantationschirurgie, Professor Aiman O., habe wissen müssen, dass seine Patientin nicht abstinent war, sagte gestern die Braunschweiger Oberstaatsanwältin Hildegard Wolff. Sie vertritt die Anklage in dem Strafverfahren gegen O., das seit 20 Monaten vor dem Göttinger Landgericht läuft.

O. ist wegen versuchten Totschlags in elf Fällen sowie wegen Körperverletzung mit Todesfolge in drei Fällen angeklagt. Er soll bei der Meldung von Daten seiner Patienten an Eurotransplant absichtlich falsche Angaben gemacht haben. So seien sie auf der Warteliste nach oben gerückt. Andere, schwerer erkrankte Menschen hätten deshalb keine Organe bekommen und seien möglicherweise gestorben.

Im Fall von Frau F. habe O. nicht nur den anhaltenden Alkoholmissbrauch verschwiegen, sagte Staatsanwältin Wolff. Eine als Zeugin geladene Krankenschwester der Universitätsmedizin hatte ausgesagt, dass sich im Gepäck der Patientin eine Flasche mit einem Wodka-Wasser-Gemisch befand. O. soll zudem veranlasst haben, dass in dem Meldebogen der Frau Dialysen eingetragen wurden, die gar nicht stattgefunden haben.

In drei weiteren Fällen hat O. der Staatsanwaltschaft zufolge Organe verpflanzt, obwohl dies medizinisch nicht angezeigt war. Diese Patienten waren später gestorben. Auf diesen Eingriffen beruht der Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge.

O. hatte im Verlauf des Prozesses die Taten bestritten. „Ich war Tag und Nacht für die Patienten bereit“, sagte er mehrfach. Bei seinem Tun sei es ihm immer nur um das Wohl der Erkrankten gegangen.

Nach Bekanntwerden der Vorwürfe war O. von der Göttinger Uniklinik suspendiert worden und saß mehrere Monate in Untersuchungshaft.

Der Göttinger Prozess ist der erste, in dem die Skandale um Organverpflanzungen an deutschen Universitätskliniken juristisch aufgearbeitet werden. In ihrem Plädoyer, das bei Redaktionsschluss noch andauerte, deutete Wolff an, dass sie eine lange Gefängnisstrafe beantragen werde. Für den 6. Mai ist das Urteil angekündigt. REIMAR PAUL