: Platten aus dem Plattenbau
MUSIK Ein Indielabel für Experimente und obskure Künstler: Karlrecords in Friedrichshain veröffentlichen ausschließlich auf Vinyl, in Auflagen von 500 Stück. In Hamburg war das schwierig, doch Berlin belebt die Vision
VON ANDREAS HARTMANN
Thomas Herbst lädt in das offizielle Office seines Labels, dem er kurz und knackig den Namen Karl verliehen hat. Sein Büro befindet sich auf der Karl-Marx-Allee in Friedrichshain in einem Plattenbau und ist letztlich nichts anderes als ein kleines WG-Zimmer, in dem er auch schläft.
Karl ist eines dieser vielen kleinen, aber feinen Labels, die es weltweit gibt und die nach der Krise der Musikindustrie durch die Digitalisierung in den nuller Jahren in einer Nische blühen und gedeihen – wegen des überraschenden Vinyl-Revivals. Die CD spielt bei solchen Liebhaber-Plattenfirmen meist keine Rolle mehr. Stattdessen wird für eine Klientel produziert, die auch weiterhin bereit ist, Geld für Musik auszugeben, aber eben nur noch in Form der guten, alten Schallplatte. Also genau für Leute wie Thomas Herbst selbst, der inzwischen gar keinen CD-Player mehr besitzt – dafür einen umso teureren Plattenspieler.
Kaum zu glauben, dass es ein Geschäftsmodell ist, Platten mit experimenteller Musik von obskuren Musikern in Auflagen von 500 Stück zu produzieren, wie das bei seinem Label der Fall ist. Und in der Tat: Leben kann Herbst von seiner Labelarbeit nicht, noch ist das Ganze weitgehend Liebhaberei. Aber das ändert sich gerade, was auch das Ziel war, als Herbst vor gut einem Jahr von Hamburg nach Berlin gezogen ist. In Hamburg hat er kurzerhand seinen Job bei einem Plattenvertrieb gekündigt, um hier mehr Zeit in die Arbeit mit dem eigenen Label investieren zu können.
Verstrahlte Miniaturen
In Berlin könne man sich einfach besser mit Musikern verbinden als in der Hansestadt, findet der Labelbetreiber. Tatsächlich erscheinen immer mehr Platten hiesiger Künstler bei ihm. Das Berliner Avantgarde-Ensemble Zeitkratzer etwa lässt mehr oder weniger sein Gesamtwerk bei Karl in Vinyleditionen erscheinen und eine der nächsten Platten des Labels wird von dem Berliner Expat Aidan Baker von der Postmetalband Nadja sein, der Herbst einen Strauß verstrahlter Gitarrenminiaturen zur Veröffentlichung überlassen hat.
Man merkt Karlrecords die kuratorische Vision an, mit der Thomas Herbst seine Arbeit verfolgt. Auf dem Label sind bisher Experimente mit Drum & Bass von Bill Laswell erschienen, Wiederveröffentlichungen von Morton Subotnick, einem Pionier der elektronischen Musik, und gerade erst mit „Double Automatism“ eine Zusammenarbeit des japanischen Klangkünstlers Yasunao Tone, der Jazz-Noise-Anarchisten „Talibam!“ und des Posaunisten Sam Kulik, deren abstrakte Elektronikpatterns eine Herausforderung auch für hartgesottene Hörer sind.
Die Bandbreite von Karl ist also enorm, und doch gibt es einen roten Faden. „Der gemeinsame Nenner“, so Thomas Herbst, „ist das Experimentelle und dass es eher um Tracks als um Songs geht.“
Karl ist letztlich ein Indielabel im klassischen Sinne. Herausgebracht wird das, was dem Betreiber gefällt, was er selbst für wichtig und gut genug hält, um eine Hörerschaft zu finden. Das geht schon los mit der Bill-Laswell-Platte. Herbst ist Fan des kauzigen Bassisten. Nach einem Konzert, das dieser in Moers gegeben hat, ist er einfach auf die Bühne gesprungen und hat dem Bewunderten gesteckt, dass er ein Label gründen wolle und gefragt, ob er dafür nicht etwas von ihm veröffentlichen dürfe. Laswell gefiel der Name Karl zwar nicht, aber letztlich war das egal und so wurde tatsächlich „Brutal Calling“ von Bill Laswell die erste Platte, die Thomas Herbst vor gut acht Jahren auf seinem Label herausgebracht hat.
Vinyl-Revival? War da was?
Von Bill Laswell ist es nicht weit zu musikalisch ähnlich gelagerten Avantgarde-Musikern wie Fred Frith und John Zorn, die Thomas Herbst ebenfalls verehrt. Von beiden gibt es genug Alben, die im CD-Zeitalter erschienen sind, das in den späten Achtzigern begonnen hat, und die es noch nie auf Vinyl gab. Mit Frith habe er bereits Kontakt aufgenommen, sagt Herbst. Der war erst mal erstaunt ob des Interesses – der englische Gitarrist hatte gar nicht mitbekommen, dass es wieder ein gesteigertes Interesse an Vinyl gibt.
Auch an dem Minimal-Komponisten Charlemagne Palestine sei er dran, so Herbst. Eine seiner Klavierplatten aus den Siebzigern würde er gerne neu auf Karl sehen. Doch Palestine findet bislang, dass eine Auflage von 500 Stück zu klein sei.
Das nächste große Projekt von Thomas Herbst wird es sein, gemeinsam mit dem Leiter des Zeitkratzer-Ensembles, Reinhold Friedl, eine Reihe verschollener und superobskurer Elektronikplatten der Neuen Musik herauszubringen. Genaues will Herbst noch nicht sagen, aber da Friedl ein ausgemachter Kenner dieser Art von Musik ist, kann man sich einiges davon versprechen.
■ www.karlrecords.net; aktuell erschienen: Yasunao Tone + Talibam! + Sam Kulik – „Double Automatism“ (Karlrecords/Cargo)