Bis dass der Tod euch scheidet

EHE Eje und Arats haben in Istanbul geheiratet. Sie ist Türkin, er Armenier. Wenn sie Leute mit radikalen Einstellungen trifft, verschweigt Eje die Nationalität ihres Mannes lieber

„Ich möchte, dass meine Kinder die armenische Schule besuchen“

ARATS

VON KNAR BABAYAN (STEPANAKERT)

Es ist 5 Uhr morgens. Durch die leeren Straßen von Istanbul rasen nur ein paar Taxis. Mein Taxi hält neben einem Café im Stadtviertel Yesilköy. Während ich mit dem Taxifahrer über das Wetter spreche, höre ich sich nähernde und immer lauter werdende Schritte. Das ist Eje, die mich abholt. Eine türkische Videomacherin, die ich vorher nur einmal über Skype gesehen hatte. Eine Frau mittlerer Größe, ungefähr 30 Jahre alt. Nach der Begrüßung nimmt sie meinen Rucksack und wir gehen in Richtung ihres Hauses.

Gesprächsfetzen, ein paar dunkle Straßen, gewundene Treppen, die in den Keller führten – da sind wir schon da. Die Wohnung in Yesilköy haben die Eltern ihres Ehemannes Arats, der Armenier ist, schon vor 20 Jahren gemietet. In diesem Gebiet in Yesilköy wohnen viele Armenier.

Das Erste, was jedem Armenier an dieser ziemlich rustikal, aber komfortabel ausgestatteten Wohnung auffallen dürfte, ist das armenische Stickalphabet an der Wand. Direkt gegenüber steht der Kühlschrank – mit vielen Magneten drauf. Neben dem Bild der Jungfrau Maria hängt das Porträt des armenischen Journalisten Hrant Dink. (Hrant Dink war ein armenischer Journalist in Istanbul, Chefredakteur der Zeitung Agos, der 2007 von einem Türken erschossen wurde.)

Während ich mir die Bücher und Bilder im Wohnzimmer anschaue, höre ich jemanden kommen, dann eine schläfrige Stimme: „Parev!, Inchpes es? Lav qnecir? („Hallo, wie geht’s? Hast du gut geschlafen?“).

Das ist Arats Sardaryan, ein ungefähr 40-jähriger, hochgewachsener Mann. Seine Urgroßeltern waren während des Massakers 1915 nach Istanbul ausgewandert. Im Gegensatz zu ihrem Mann ist Eje in Ankara aufgewachsen und erst vor acht Jahren nach Istanbul gezogen.

„Ich war neu in Istanbul und hatte sehr wenige Freunde. Und es kam mir so vor, als wäre an meinem Geburtstag keiner von ihnen in der Stadt. Ich rief einen Freund an und beschwerte mich darüber. Dieser erzählte mir von einem armenischen Bekannten in Istanbul und schlug mir vor, mich mit ihm zu treffen, damit ich meinen Geburtstag nicht allein verbringen musste. Ich habe den Mann angerufen. Wir trafen uns. Nachdem wir uns einige Stunden unterhalten hatten, sagte ich: Arats, ich glaube, wir sollten heiraten“, erinnert sich Eje an den Tag.

Während Eje redet und gleichzeitig den Tisch deckt, bereitet Arats am Herd verschiedene Gerichte zu. Eje erzählt, dass sie die Aufgaben verteilt haben, da sie beide immer sehr beschäftigt seien. Normalerweise sorgt Arats fürs Essen und Eje räumt die Wohnung auf.

Arats und Eje haben bereits standesamtlich geheiratet – ohne eine Hochzeitszeremonie in der Kirche oder Moschee. Eje erklärt das damit, dass es nicht nur teuer, sondern auch nicht notwendig sei. „Natürlich habe ich Arats’ Nachnamen übernommen, und jetzt heiße ich Eje Gunesh-Sardaryan. Aber bisher haben wir noch keine Hochzeitsfeier gehabt. Also, ich kann das für Arats tun, wenn er darauf besteht. Bis jetzt hat er diesen Wunsch aber noch nicht geäußert“, sagt Eje.

Arats lächelt über die Worte seiner Frau und gesteht, dass er Atheist sei. Doch es störe ihn nicht, an bestimmten Feiertagen in die Kirche zu gehen. Er meint, die Kirche sei heutzutage einer der seltenen Orte, der die Armenier in der Türkei mit der armenischen Gemeinde verbinde.

Als wir über binationale Ehen diskutieren, behaupten meine Gesprächspartner übereinstimmend, dass die Zahl solcher Ehen immer weiter ansteige. Eje erzählt, dass auch ihre Eltern verschiedene Nationalitäten haben. Die Mutter sei Türkin und der Vater Kurde.

„Hätten meine Eltern beide die gleiche Nationalität, hätten sie vielleicht anders auf meine Entscheidung reagiert. Immerhin gibt es einen Unterschied, ob eine Türkin einen Briten, Franzosen oder einen Armenier heiratet“, erklärt Eje. Und ebendeswegen verschweigt Eje den Leuten mit radikalen Einstellungen die Tatsache, dass ihr Mann Armenier ist. Das mache sie nicht aus Angst, dass sie jemanden verletzen könnte, sondern weil ein beleidigendes Wort oder ein schiefer Blick oftmals mehr schadeten.

Auch Arats stimmt zu und erzählt, wenn einige Türken erführen, dass er Armenier sei, dann sagten sie ihm, er sei trotz seiner Nationalität ein guter Mensch.

Nach dem Frühstück versucht Arats mit seinen mangelnden Armenischkenntnissen etwas zu erzählen. Eje nimmt noch eine Tasse Tee und geht aus dem Zimmer. „Mein Armenisch ist nicht so gut“, sagt er und fügt schnell noch hinzu: „Ich würde mir sehr wünschen, dass meine Kinder die armenische Schule besuchen und später besser sprechen können als ich.“

Als Eje die Namen der Kinder hört, merkt sie an: Eigentlich werde sie, entsprechend den Regeln, nach dem Tod auf einem muslimischen Friedhof beigesetzt, der am Stadtrand liegt. Arats wird auf dem christlichem Friedhof begraben, der sich aber in einem anderen Stadtviertel befindet. „Es sieht so aus, als ob wir nach dem Tod voneinander getrennt werden“, sagte Eje. „Unsere Kinder werden uns dann auf verschiedenen Friedhöfen besuchen.“