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Archiv-Artikel

Kulturrevolution an der Platte

TISCHTENNIS Bei der anstehenden WM in Suzhou treten Timo Boll und Ma Long im Doppel an – und als Favoriten für die Premiere eines deutsch-chinesischen Titels

„In China ist unser WM-Doppel ein großes Thema – auch weil Timo sehr beliebt ist“

MA LONG

VON HARTMUT METZ

Timo Boll tritt auf einmal markig auf. Dreimal nimmt der 34-Jährige im Interview, das er vor der WM in Suzhou, die am 26. April beginnt, gibt, das Wort „Weltmeister“ in den Mund. Das war der Rekordeuropameister noch nie, wofür vor allem einer verantwortlich ist: Ma Long.

Ausgerechnet mit dem souveränen Weltranglistenersten aus China tritt Boll bei der WM im Doppel an. Der Tischtennisweltverband ITTF nennt das diesmal zugelassene binationale Duett bereits jetzt ein „legendäres Paar“, und Boll hat viel damit zu tun, zu bestreiten, dass die Kombination ein reiner PR-Gag ist, mit dem die übermächtigen Gastgeber wenigstens eine halbe Goldmedaille verschenken. „Natürlich erhoffen sich die Chinesen dadurch mehr Medieninteresse. Ich habe mich für Ma Long als Partner entschieden, weil er ein sehr guter Einzelspieler ist. Ich schätze aber auch seinen Charakter sehr“, betont Boll, der für Düsseldorf in der Bundesliga spielt.

Ma Long hört sich das gerne an und stimmt – „trotz der vorhandenen Sprachbarrieren“ – dem zu: „Unser Charakter ist sehr ähnlich.“

Nicht nur der Charakter: „Auch unsere Spielanlagen passen sehr gut zueinander. Ich operiere mehr mit Spin, er ist ein echter Killer mit dem wohl größten Zug in der Tischtenniswelt“, meint Boll. Grinsend schiebt er nach: „Ich hoffe, wenn Ma Long am Ball ist, dass ich danach nicht mehr drankomme.“

Ma freut sich auf die Zusammenarbeit, weil „Timo gut die Bälle für mich vorbereiten und sehr gut platzieren kann. Das hilft sehr“, befindet der 26-Jährige und erinnert sich gern an ihren Sieg im Doppel bei den China Open 2013. „Da haben wir bewiesen, dass wir gut zusammenspielen können.“

Mangels gemeinsamer Einsätze ist die neue Traumkombination in Suzhou nur an Position 18 der Setzliste geführt. Doch beide haben ja bereits bewiesen, dass sie hervorragende Doppelspieler sind: Ma Long gewann 2011 mit dem aktuellen Weltranglistenzweiten Xu Xin den WM-Titel, und Boll scheiterte mit Christian Süß 2005 erst im Finale.

Einziges Manko: An gemeinsames Doppeltraining war vor der WM nicht zu denken, die deutsche Mannschaft trifft erst am Donnerstag in China ein – außer Dimitrij Ovtcharov. Der 26-jährige Weltranglistensechste ist früher angereist, weil er den Ehrgeiz hat, im Einzel den Chinesenschreck zu spielen und „eine Medaille zu gewinnen“. Das passt zum Credo des Bundestrainers: „Wir fahren nicht zu einer WM, um in ein Viertelfinale zu kommen. Man muss maximal denken“, verkündet Jörg Roßkopf.

„Rossi“ selbst war der letzte deutsche Weltmeister: 1989 zusammen mit Steffen Fetzner in Dortmund. Die Sensation löste damals einen Tischtennisboom aus, den man vielleicht mit dem Hype um das Boll-Ma-Doppel vergleichen kann.Sogar in China, wo Boll auch ab 7. Juli wieder in der Super League für Shandong Weiqiao an die Platte geht, ist das Interesse riesig. „Ich verspüre großen Druck“, gibt Ma zu. „In den chinesischen Medien ist unser WM-Doppel mittlerweile ein großes Thema, auch weil Timo sehr bekannt und beliebt ist.“

Lange musste Boll daher Bundestrainer Roßkopf nicht überzeugen, zumal der Weltranglistensiebte laut eigener Aussage „keiner ist, der immer Sonderwünsche äußert“. Der Männer-Bundestrainer hätte zwar gerne rein deutsche Doppel in Hinblick auf die Mannschaftskämpfe bei den Olympischen Spiele 2016 getestet, doch macht er für sein Aushängeschild eine Ausnahme: „Ich weiß, wie gut Timo Doppel spielt und welche Wertschätzung er in China genießt. Die Anfrage hat ihn noch mehr motiviert, für ihn ist es eine tolle Herausforderung.“ Boll bedankt sich artig für „die große Chance, Weltmeister zu werden. Ich kann verstehen, dass er vor Rio lieber ein deutsches Doppel gesehen hätte.“

Was die sportlichen Aussichten angeht, bewahrt sich Boll aber die gewohnte Zurückhaltung. „Die WM wird aber kein Selbstläufer, auch nicht mit einem Ma Long. Vor allem die chinesischen Duos können uns natürlich gefährlich werden, aber“, fügt Boll an, „so wie ich Ma Long kenne, ist er extrem motiviert und ehrgeizig.“ Boll auch.