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Archiv-Artikel

Hat der BND einfach nur mitgemacht?

GEHEIMDIENSTE Jahrelang soll der Bundesnachrichtendienst für die National Security Agency Unternehmen, Behörden und Politiker in Europa mit ausspioniert haben. Das Bundeskanzleramt soll davon nichts erfahren haben – angeblich

Bislang behauptete die Regierung, nur anlassbezogene Ausspähungen vorzunehmen

AUS BERLIN MARTIN KAUL

Der deutschen Bundesregierung steht ein neuer Geheimdienstskandal ins Haus – und diesmal dürfte er ganz besondere Ausmaße annehmen. Nach Berichten von Spiegel Online soll der deutsche Auslandsgeheimdienst BND über Jahre in großem Stil aktiv daran beteiligt gewesen sein, gemeinsam mit der NSA innereuropäische Ziele auszuspionieren – darunter das europäische Rüstungsunternehmen EADS, französische Behörden und womöglich sogar europäische Politiker.

Hintergrund sind gemeinsame Spionagetätigkeiten zwischen dem Bundesnachrichtendienst und dem für internationale Kommunikationsüberwachung zuständigen US-Geheimdienst NSA. Dieser liefert dem Bundesnachrichtendienst unter anderem sogenannte Selektoren, die der BND in sein weltweites Überwachungsnetz einspeist und für seine Spionagetätigkeit benutzt. Bei solchen Selektoren handelt es sich beispielsweise um IP-Adressen oder Handynummern, mit deren Hilfe die Geheimdienste die Kommunikation bestimmter Zielpersonen oder Institutionen gezielt in Angriff nehmen können. Die Ergebnisse aus dieser Überwachung gehen dann auch zurück an die NSA.

Laut Spiegel Online speiste die NSA dabei auch Selektoren ein, die europäische Unternehmen und Institutionen ins Visier nahmen und weder mit dem Aufgabenprofil des BND zu tun hatten noch vom gemeinsamen Antiterrorauftrag gedeckt waren. Merkten die deutschen Agenten also nicht, dass sie sich für den US-Dienst direkt in den Dienst innereuropäischer Spähaktionen stellten? Oder taten sie es gar wissentlich?

Das Pikante: Obwohl BND-Mitarbeitern die Praxis der NSA spätestens 2008 aufgefallen sein soll, zog der Nachrichtendienst offenbar keine Konsequenzen. Auch das Kanzleramt, das die Rechtsaufsicht über den Nachrichtendienst hat, erfuhr – angeblich – nichts davon.

So sollen die Selektoren erstmals nach den Snowden-Enthüllungen 2013 überhaupt systematisch betrachtet worden sein, um zu überprüfen, ob die Anwendung der Selektoren gegen deutsche Gesetze verstoßen könnte. Doch auch nachdem schließlich rund 2.000 fragwürdige Selektoren gefunden worden waren, soll angeblich nicht das Kanzleramt informiert worden sein, sondern lediglich eine Bitte vom BND an die NSA ergangen sein, die Praxis künftig zu unterlassen.

Eine neue Prüfung im Zusammenhang mit der Arbeit des eingerichteten NSA-Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag ergab nun, dass nicht nur 2.000, sondern 40.000 solcher auftrags- und rechtswidriger Selektoren in das Spionagenetz des BND eingeschleust wurden.

Im Deutschen Bundestag, wo am Donnerstag der frühere BND-Präsident Ernst Uhrlau vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der NSA-Spionageaffäre hätte Aussagen sollen, sorgte die Nachricht fraktionsübergreifend für Empörung. Der NSA-Ausschuss brach seine laufende Zeugenbefragung ab und berief für den Nachmittag eine Sondersitzung mit Spitzenvertretern des Kanzleramts ein. Auch das Parlamentarische Kontrollgremium, das für die parlamentarische Kontrolle des Bundesnachrichtendienstes formell verantwortlich ist, kam zu einer Sondersitzung zusammen.

Die neue Enthüllung hat für deutsche Verhältnisse eine neue Dimension. Bislang hatten sowohl deutsche Dienste wie auch die Bundesregierung stets behauptet, nur anlassbezogene und grundrechtskonforme Datenausspähungen vorzunehmen. Dass nun in solchem Umfang bedenkliche Zieladressen auch innerhalb Europas ausgemacht werden konnten, legt die Vermutung nahe, dass der BND sich wissentlich oder unwissentlich, aber zumindest in großem Stil daran beteiligte, auch innereuropäische Spionage zu betreiben – zugunsten der NSA.

Als Konsequenz forderte die Linksfraktion den Rücktritt von BND-Präsident Gerhard Schindler. „Wir haben es hier mit einem Organisationsversagen zu tun, das nun auch im Bundeskanzleramt zu personellen Konsequenzen führen muss“, sagte die Obfrau der Linksfraktion im NSA-Ausschuss, Martina Renner.

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