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Archiv-Artikel

Der hilfreiche Geist und seine strenge Jägerin

Im Schnitt rund 3.000 Euro muss ein Kunde beim Ghostwriter Stefan Fulda für eine Diplomarbeit auf den Tisch legen. Ein schlechtes Gewissen plagt den betrügerischen Dienstleister nicht. Dafür muss er immer anonym bleiben – aus Angst vor Prüfprofis wie Debora Weber-Wulff. Clever enthüllt sie Plagiate

Die Prüferin: „Es ist sehr schwer, Ghostwriter nachzuweisen. Die können ja gut schreiben“

von OLIVER HAVLAT

Ein Treffen mit Stefan Fulda hat etwas Konspiratives. Das mag daran liegen, dass Fulda gar nicht so heißt, sondern ganz anders, dass dieses Treffen an einem verregneten Spätherbstmittag in einem ansonsten leeren Café am Savignyplatz stattfindet und dass Fulda zu diesem Treffen in hochgeschlossener schwarzer Lederjacke und mit dunklem, leicht ins Gesicht gezogenem Hut erscheint.

Alles an dem untersetzten 38-Jährigen, der seit 14 Jahren in Berlin lebt, ist unauffällig. Dabei müsste sich Fulda eigentlich gar nicht verstecken, denkt man. Immerhin lebt er von Veröffentlichungen. Zahlreiche wissenschaftliche Abhandlungen hat er verfasst – in ganz unterschiedlichen Disziplinen. Unter anderem hat er Diplomarbeiten über den Nihilismus bei Heidegger und Hegel geschrieben, hat den Wandel der Außenpolitik der Grünen analysiert, Aspekte der Ökosteuer erforscht, den Wandel der athenischen Demokratie beschrieben, ein Essay zur East India Company in Bengalen verfasst. Er ist Experte in Germanistik und Philosophie, Geschichte, Psychologie und Politikwissenschaft. Nur: Auf keinem seiner Werke steht sein Name. Sondern jeweils irgendein anderer. Seine Publikationsliste ist so lang wie er selbst im Wissenschaftsbetrieb unsichtbar. Denn Stefan Fulda ist Ghostwriter.

Gegen Honorar nimmt er Studenten, Examenskandidaten und jedem, der sonst einen Fachtext schreiben müsste, aber nicht will – oder nicht kann –, die Arbeit ab. „Ich kann eine Diplomarbeit in zwei Monaten schreiben“, sagt er.

Fuldas Klienten sind Leute, die sich entweder nicht zutrauen, die Arbeiten selbst zu verfassen oder schlicht keine Zeit dazu haben. „Viele müssen arbeiten gehen und schaffen das deshalb nicht“, erklärt er. Und andere, bei denen die finanzielle Ausstattung stimmt, machen es sich einfach gern bequem. Manche nehmen die Dienste ihres Ghostwriters deshalb immer wieder in Anspruch: „Ich hatte einen, der war viermal bei mir“, sagt Fulda, nimmt einen Schluck Tee mit Milch und fügt lakonisch hinzu: „Das komplette Hauptstudium und auch die Magisterarbeit habe ich für ihn gemacht.“

Rund 3.000 Euro muss ein Kunde bei ihm für eine Diplom- oder Magisterarbeit im Schnitt auf den Tisch legen – wenn er mit Literatur und einer Gliederung kommt. Wenn Fulda noch recherchieren muss oder die Arbeit besonders lang sein soll, kostet das noch einmal extra.

„Kosten kann das vor allem den Titel“, sagt Debora Weber-Wulff. „Es ist nur sehr schwer, einen Ghostwriter nachzuweisen. Die können ja gut schreiben.“ Die Medieninformatikprofessorin an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft (FHTW) kennt sich aus: Sie ist gefürchtet als unerbittliche Jägerin von Plagiatoren und Ghostwriter-Kunden. Etliche Veröffentlichungen zu Themen wie „Aufdeckung von Plagiaten: Suchen im Internet für Lehrkräfte“ sind auf ihrer Homepage aufgelistet, Links zu Interviews in allen möglichen Medien dazu. „Es geht da um das Sauberhalten der Wissenschaft“, sagt die Professorin. „Man soll den Stoff ja selber durchdringen. Ein Kandidat, der sich seine Arbeit schreiben lässt, kann ja sehr schlau sein.“ Aber der Nachweis darüber, dass er das wissenschaftliche Arbeiten beherrscht, fehle eben.

Und aus diesem Grund gelten akademische Weihen, die mit einer gekauften Arbeit erlangt werden, nicht. „Die Titel können auch nachträglich aberkannt werden“, sagt Professorin Weber-Wulff. „Und ich betreibe auch, dass die aberkannt werden, wenn mir später auffällt, das jemand seine Diplomarbeit nicht selbst geschrieben hat.“

Die Gefahr ist nicht groß, findet Stefan Fulda. „Die besteht nur, wenn der Stil gravierend von den anderen Arbeiten abweicht“, sagt er lässig. Er passe da auf. Mit Versatzstücken aus dem Text-Computer, wie das einige seiner Kollegen machen, arbeitet er nicht. Für jede Arbeit gräbt er sich zu Hause mit den Büchern ein, der Text wird immer „frisch“ geschrieben. Aufgefallen sei, seiner Kenntnis nach, noch niemand mit einer seiner Schriften.

Auffallen wird aber, wer sich dumm anstellt. „Der krasseste Fall war ein Kandidat im Fach Technische Informatik“, erzählt Debora Weber-Wulff. „Er war im Studium ein sehr schwacher Kandidat, hat dann aber eine ganz gute Arbeit abgegeben.“ Die Prüfungskommission roch Lunte. Bei der folgenden mündlichen Prüfung, der Diplomverteidigung, zog sie die Zügel an. „Wir stellen da dann sehr scharfe Fragen.“ Was Wirkung zeigte: „Da kam nichts. Der Kandidat wusste überhaupt nichts. Dadurch war dann schnell klar, dass diese Person die Arbeit nicht geschrieben hatte.“

Der Ghostwriter: „Das komplette Hauptstudium und die Magisterarbeit habe ich für ihn gemacht“

Vergleichen sei die richtige Vorgehensweise, um Indizien für Plagiate und Geisterschreiber zu finden, rät die Professorin, die in manchen Seminaren schon jede zweite Hausarbeit als Plagiat enttarnt hat. („Und es hört nicht auf. Ich weiß nicht, ob das sportlicher Ehrgeiz ist?“) Weber-Wulff rät, nach Mustern im Text zu suchen: „Stellen, die in verschiedenen Arbeiten recht gleich klingen, bestimmte Syntaxstrukturen.“ Beim Text eines Ghostwriters merke man: „Da ist jemand am Werk gewesen, der keine tiefgreifende Kenntnis der Materie hat, aber gut schreiben kann.“ Allerdings, das weiß die Wissenschaftlerin, ist das extensive Vergleichen von Arbeiten, diese Form der Kontrolle, im wissenschaftlichen Massenbetrieb kaum aufrecht zu erhalten.

Gestresste Professoren sind damit das beste Erfolgskriterium für Auftragsarbeiten auch aus Stefan Fuldas Feder. Der 38-Jährige bessert sich mit der geheimen Schreiberei übrigens sein Arbeitslosengeld auf. Über ein Praktikum, bei dem er Korrekturen an fertigen Arbeiten habe machen müssen, erzählt er, sei er auf den Gedanken gekommen, sich selbst als Geisterhand auszuprobieren. Die Aufträge kommen über eine kleine, unprätentiös formulierte Anzeige im Stadtmagazin Tip, Rubrik Schreibservice: „Erfahrener Autor (Germanist MA) erstellt und lektoriert Texte jeglicher Art. Gern Hochschularbeiten.“

Ob er das, was er da macht, denn nicht für Betrug halte? Die Frage kennt Stefan Fulda. Und er ist felsenfest überzeugt: „Das, was ich mache, nicht. Nein.“ Nur, wer die fertige Arbeit dann als sein eigenes Werk an der Universität einreiche, betrüge. Sagt’s, schaut lammfromm und nippt noch einmal am Tee. „Die Leute müssen sich im Klaren sein, dass das ein kleines Risiko ist.“

Wenigstens ein bisschen beruhigt sein kann, wer seine Arbeit bei einem Ghostwriter in Auftrag gibt, der sich zumindest beim Schreiben an die wissenschaftlichen Regeln hält. In einer Arbeit, die er eigentlich nur Korrektur lesen sollte, sagt Geisterschreiber Fulda, hat er einmal mehrere Seiten gefunden, die schlicht aus Büchern abgeschrieben waren. „Das musste geändert werden“, meint er. „Das ist ja Vollbetrug.“ Aha.