: Solarstrom als Statussymbol
Leben und Wohnen in Japans größter Solarsiedlung. Elektrizität ist in Japan positiv besetzt. Hightech auch. Und die Verbindung von beidem kommt gut an: Strom mittels Photovoltaik erzeugen. Japan installiert doppelt so viel Leistung wie Deutschland
Auf der Visitenkarte von Toshio Anzai steht neben den üblichen Informationen zur Person zusätzlich der Hinweis „The 7th New Energy Award“. Das ist eine angesehene Auszeichnung in Japan, und Anzai hat sich tief verbeugt, als er sie dieses Jahr entgegengenommen hat. Seit Mitte der 90er-Jahre zeichnet das Wirtschaftsministerium mit diesem Preis jährlich Projekte aus, die zur Verbreitung „neuer Energien“ beitragen. Dieses Jahr ging der „New Energy Award“ unter anderem an den Fertighaushersteller Hakushin Corporation, dessen Präsident Anzai ist. Denn die Firma hat die größte Solarsiedlung Japans gebaut, die „Kiyomino Solar Town“ in der Nähe von Tokyo. „Und die erste“, präzisiert Anzai stolz, wenn er Besuchern von seinem Projekt erzählt.
Die Hakushin Corporation ist einer von zahllosen mittelständischen Fertighausherstellern, die es in Japan gibt. Mit seinen 85 Angestellten gehört Hakushin nicht gerade unbedingt zu den Marktführern in dieser Branche. Rund 300 Häuser werden im Jahr gebaut und verkauft. Eigentlich wäre diese Firma nicht weiter erwähnenswert. Und Anzai weiß das.
Als jedoch vor zwei Jahren eine neue Siedlung in der Stadt Yoshikawa in Angriff genommen wurde, brauchte Anzai nichts dringender als eine gute Marketingstrategie. Und so entwickelte er die Idee, auf jedem Dach eine Solarstromanlage zu installieren: „Ich hatte darüber nachgedacht, was wohl ein trendy Lifestyle im 21. Jahrhundert werden würde“, erinnert sich Anzai: „Es war klar, dass der ökologische Aspekt an Bedeutung gewinnt.“
Zudem hatte er beobachtet, dass Photovoltaikprojekte immer öfter in japanischen Zeitungen und im Fernsehen auftauchten – kostenlose Werbung, die er sich auch für sein Projekt erhoffte. Denn in Yoshikawa und Umgebung war man noch nicht bekannt. „Als Newcomer hatten wir ohne eine zündende Idee keine Chance in der neuen Umgebung. Die Photovoltaik war eine Marketingmasche, um uns ins Gespräch zu bringen.“ Und so entstand die „beautiful solar-powered Town“.
Die Siedlung besteht aus 79 Häusern, die alle eine Solarstromanlage mit einer Leistung von drei Kilowatt haben: Gesamtleistung 237 Kilowatt. Zum Einsatz kommen Solardachelemente vom Typ „Ecolony“ der Firma Kubota, die Hybrid-Solarmodule des japanischen Herstellers Kaneka enthalten. Sie bestehen aus amorphem Silizium, auf das zusätzlich noch eine dünne Schicht aus mikrokristallinem Silizium aufgebracht wurde. Dadurch wirkt das Modul etwas dunkler als die rötliche, rein amorphe Variante, die Kaneka ebenfalls herstellt, und hat außerdem einen besseren Wirkungsgrad.
Die von Kubota für „Ecolony“ verwendeten Laminate haben Wirkungsgrade zwischen acht und zehn Prozent. „Wir hätten uns beinahe für ein anderes System entschieden“, erinnert sich Kazzhico Wada, Photovoltaikexperte bei Hakushin und bis vor kurzem noch bei Kubota angestellt: „Alle sagten uns, kristalline Module sind am weitesten verbreitet, die sollten wir nehmen.“ Doch hätte man die kristallinen Module nur als Aufdachsystem angeboten bekommen.
Kubotas Solarelemente aber lassen sich in das Dach integrieren. „Die Photovoltaikanlage sollte die Schönheit des Hauses nicht beeinträchtigen“, begründet Wada die Wahl. Denn ein Fertighaus von Hakushin ist selbst für japanische Verhältnisse nicht ganz billig. Rund 40 Millionen Yen kostet ein Haus in Kiyomino inklusive Grundstück, also rund 287.000 Euro. Da würden die zwei Millionen Yen für die Photovoltaikanlage gar nicht auffallen, so Anzais Hoffnung, mit der er letztlich auch Recht behalten sollte. Inzwischen sind bereits 72 Häuser verkauft.
Kazzhico Wada hatte mit dem Erfolg gerechnet. In Japan wird Elektrizität mit Wohlstand verbunden. Strom ist gut, Hightech ist gut, Photovoltaik ist Hightech zur Stromerzeugung. Angepriesen werden die Häuser als „All-Electrical-Houses“. Gas oder gar Öl werden nicht mehr benötigt, thermische Solaranlagen übrigens auch nicht. Solarthermie – das ist in Japan Solartechnik zweiter Klasse und passt nicht zum Image der Hakushin-Häuser. Heizung, Kochen, Warmwasser – alles funktioniert mit Strom. Wobei man auf Energiesparen Wert legt: Installiert sind ein Induktionsherd und eine Wärmepumpe.
Die Solarstromanlage soll etwa die Hälfte des Strombedarfs der Bewohner decken und so den Strombezug von den Elektrizitätswerken verringern. Das erwarten nach einer von Hakushin unter den Bewohnern durchgeführten Umfrage 97 Prozent der Bewohner – also praktisch alle. Nur 28 Prozent haben sich aus ökologischen Gründen für den Kauf eines Solarhauses entschieden. Wichtig war auch noch mit rund 16 Prozent die Hoffnung auf „Bewunderung durch die Nachbarn“.
Wird mehr Strom produziert als zeitgleich verbraucht, geht der Überschuss an die Elektrizitätswerke. Diese nehmen den Strom zu ihrem Verlaufspreis ab. In Kiyomino gibt es zeitabhängige Tarife: Nachts kostet der Strom nur etwa sechs Yen (vier Cent), tagsüber bis zu 32 Yen (23 Cent). Die Solarstromanlage hilft also, den teuren Tagstrom einzusparen beziehungsweise den Solarstrom teuer an den Energieversorger zu verkaufen. Die 3-Kilowatt-Anlage erzeugt etwa 2.800 Kilowattstunden in dieser Region Japans im Jahr, kostet rund 14.300 Euro und wird mit 650 Euro pro Kilowatt bezuschusst. Damit lässt sich die Anlage über 20 Jahre so gerade eben refinanzieren. Eine Verzinsung des eingesetzten Kapitals, wie in Deutschland durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz vorgesehen, findet in Japan jedoch nicht statt.
Das Konzept der „All-Electrical-Houses“ kommt dennoch gut an. Und so bauen Toshio Anzai und Kazzhico Wada schon am nächsten Projekt. Nur wenige Kilometer entfernt entsteht die 84 Häuser umfassende Siedlung „Lichte Paadje“, eine Solarsiedlung im Holland-Stil. Die ersten Bauten sind bereits fertig. „Sieht es holländisch aus?“, will Wada wissen, der das europäische Land zum Zeitpunkt unserer Visite noch nie besucht hatte. Inspiriert habe ihn ein Bericht über die weltgrößte Solarsiedlung im niederländischen Amersfoort. Seine Frage wird er sich inzwischen selbst beantworten können: Er reiste kürzlich mit seinem Chef Anzai nach Amersfoort. ANNE KREUTZMANN