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Archiv-Artikel

AFGHANISTAN WIRD ZUM ERFOLG STILISIERT – AUF KOSTEN VON FLÜCHTLINGEN Viel zu früh für eine Heimkehr

Die Innenminister haben mitgeteilt, demnächst mit der Abschiebung afghanischer Kriegsflüchtlinge beginnen zu wollen. Fast zeitgleich hat die UNO bestätigt, dass sie den Umfang ihrer Präsenz in Afghanistan angesichts der Sicherheitsprobleme kritisch überprüfen wird. Lesen die deutschen Minister eigentlich keine Zeitung? Falls sie tatsächlich glauben sollten, die Krisenregion biete ein hinreichend stabiles Umfeld für Zwangsrepatriierungen, dann hätte die deutsche Bevölkerung allen Anlass, sich große Sorgen zu machen: So schlecht darf der Informationsstand derjenigen nicht sein, die sie vor Terroranschlägen schützen sollen.

Vorstellbar ist jedoch auch, dass die Ministerkonferenz genau weiß, wie prekär die Lage in Afghanistan ist, aber meint, die Öffentlichkeit wisse es nicht oder interessiere sich nicht für das Schicksal von Flüchtlingen. Soll man so viel Zynismus wirklich unterstellen? Und welche dieser Möglichkeiten ist eigentlich die deprimierendere?

Es gibt drei Beweggründe für Abschiebungen afghanischer Flüchtlinge, und jeder einzelne ist verständlich. Zum einen kosten die etwa 70.000 Gestrandeten natürlich Geld. Zum anderen ist unbestreitbar, dass sich in den Reihen von Flüchtlingen auch Leute finden, die ihren Status missbrauchen und sinistre Ziele verfolgen. Dieses Problem ist allerdings nicht erst mit dem internationalen Terrorismus entstanden. Wenn Deutschland die Abwehr möglicher Gefahren künftig höher einschätzen will als die Verpflichtung zur Nothilfe, dann sollten die Verantwortlichen das offen sagen und sich mit Widerstand dagegen auseinander setzen. Es steht zu hoffen, dass der Widerstand groß wäre.

Die ersten beiden Gründe gelten universal, der dritte nur für Afghanistan: Wenn man nicht zugeben will, dass die bisher eingeschlagene Strategie im Kampf gegen den Terror auf ganzer Linie gescheitert ist, dann muss Aghanistan zur Erfolgsgeschichte erklärt werden. Das gilt umso mehr, als sich Fehleinschätzungen hinsichtlich des Irak nicht mehr leugnen lassen. Propaganda gehört zur Politik. Aber dafür darf niemand in den Tod geschickt werden. Auch und gerade keine Flüchtlinge, die sich bis nach Deutschland durchgeschlagen haben. BETTINA GAUS