: Regierung spricht von Völkermord
GEDENKEN Nach heftiger interner Debatte nennt die Koalition den Genozid an den Armeniern auch so. Bedenken kamen von der SPD
SPRECHER DES AUSSENMINISTERIUMS
VON ANJA MAIER
BERLIN taz | Am kommenden Freitag ist es so weit. Gegen Mittag wird der Bundestag den Antrag der Großen Koalition zur Erinnerung an den Völkermord an den Armeniern vor 100 Jahren beraten. Das Neue daran: Bislang trug nur der anschließend zu beratende Antrag der Linken das Wort „Völkermord“ im Titel; SPD und Union gebrauchten lieber die Formulierung „Vertreibung und Massaker“. Am Montag dieser Woche hat sich das geändert.
Nach heftiger Debatte haben sich die Regierungsfraktionen schließlich darauf geeinigt, den Text zu ändern. Nun heißt es darin, 1915 habe das damalige türkische Regime mit der planmäßigen Vernichtung von mehr als einer Million Armenier begonnen. „Ihr Schicksal steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen und der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist. Dabei wissen wir um die Einzigartigkeit des Holocaust, für den Deutschland Schuld und Verantwortung trägt.“
Regierungssprecher Steffen Seibert betonte am Montag in der Bundespressekonferenz: „Hinter diesem Antrag steht die Bundesregierung.“ Der Sprecher des Auswärtigen Amtes verwies darauf, dass es „genau in dieser Frage“ einen Austausch zwischen Regierung und Bundespräsidialamt sowie „Impulse aus dem Bundespräsialamt“ gegeben habe. Dem Vernehmen nach wird auch Bundespräsident Joachim Gauck bei einer Gedenkveranstaltung der Kirchen am Donnerstag in Berlin das Wort Völkermord verwenden. Auf die Frage, ob die Regierung vor diesem Hintergrund Spannungen mit der türkischen Regierung erwarte, antwortete der Sprecher des Außeministeriums: „Das warten wir jetzt mal ab.“
Der türkische Präsident Erdogan hatte sich in der letzten Woche die Wertung des Massakers im Jahr 1915 als Völkermord verbeten. „Wir werden es nicht zulassen, dass historische Vorfälle aus ihrem Zusammenhang gerissen werden und als Instrument für Kampagnen gegen unser Land verwendet werden“, bezog er sich auf eine Rede von Papst Franziskus. „Ich verurteile den Papst und möchte ihn warnen, ähnliche Fehler wieder zu begehen.“ Der Papst hatte vor anderthalb Wochen vom „ersten Genozid des 20. Jahrhunderts“ gesprochen. Bei der Messe im Petersdom waren auch der armenische Patriarch Nerses Bedros XIX. Tarmuni sowie der armenische Präsident Sersch Sargsjan zugegen.
Die Türkei räumt zwar ein, dass bei Massakern und Deportationen 1915 und 1916 armenische Christen durch osmanische Truppen getötet wurden. Sie bestreitet aber, dass es Hunderttausende waren und dass es ein Völkermord gewesen sei. Die Forschung geht von bis zu anderthalb Millionen Todesopfern aus.
Der Bundestag soll die bislang umstrittene Resolution am Freitag im Rahmen des Gedenkens an die Massaker verabschieden. Während vor allem Vertreter der Unionsfraktion sich dafür ausgesprochen hatten, das Wort Völkermord zu verwenden, waren seitens der Sozialdemokraten Bedenken geäußert worden. Noch am Sonntag hatte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier erklärt: „Man kann das, was damals geschehen ist, in dem Begriff des Völkermords zusammenfassen wollen, und ich kann die Gründe dafür und erst recht die Gefühle dazu gut verstehen.“ Er als Außenminister müsse aber auch daran denken, was nach dem 24. April, dem offiziellen Gedenktag der Armenier, geschehe. Ulle Jelpke, die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, bezeichnete den Findungsprozess der Regierungskoalition am Montag als „unwürdigen Eiertanz“.
Meinung + Diskussion SEITE 14