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Archiv-Artikel

Norddeutschlands neue Recken

LITERATUR So manche norddeutsche Krimi-Autorin besingt – wie zu Omas Zeiten – den Helden, der das waghalsige Frauchen rettet. Dabei gibt es nicht erst seit gestern Frauen, die ja sogar Kommissarinnen sein dürfen

Nur Katzenfanatikerinnen wie Loretta laufen nächtens zum Füttern in abgelegene, dunkle Parks

VON PETRA SCHELLEN

Die Frage ist, ob man sich in vertrauter Umgebung zwangsläufig besser fühlt. Genauer: ob sich der Leser wohlig räkelt, wenn er weiß, dass der Mord in Hamburg-Ottensen geschah. Denn von diesem Lokalkolorit leben inzwischen ganze Krimi-Horden, die andernfalls nie entstanden wären. Emotionales Grundrauschen ist stets das latente Grauen unscheinbarer Orte; eine Aufladung, die vermutlich die legendäre Ermittlungs-Show „Aktenzeichen XY“ erfand, deren Soundtrack wir nie mehr vergessen werden.

Dass Hamburger Autoren zunächst die schaurig-schöne Speicherstadt für ihre Krimi-Zwecke verwerteten, versteht sich da von selbst. Nur dass Boris Meyn, der das als einer der ersten tat, noch echte Historie in seine Geschichten wob. Seine Nachfolger sind da nicht mehr so beflissen. Die Verbindung von Ort und Tat wirkt gewollt; oft stört die allzu kleinkarierte Benennung von Straßen und Lokalen – aber, würde der Autor sagen, der Verlag hat es ja so gewollt. Und warum soll sich der Leser nicht, in bewährter Wildwest-Manier, ein bisschen wie in New York fühlen, wo bekanntlich hinter jeder Ecke eine Leiche liegt?

Oder eben in Hamburg-Barmbek, wo Loretta, die Protagonistin von Carmen Korns „Die Katzenfreundin und die Zeichen des Todes“, wohnt. Aufs Cover hat man eine Katze samt zartem Frauenprofil gepappt; die Zielgruppe wäre somit ausgemacht: katzenverrückte Frauen. In diesem Punkt trifft das Buch die Realität: nur Katzenfanatikerinnen laufen, wie Loretta, nachts zum Katzenfüttern in dunkle Parks. Dass an solchen Orten gut morden ist, leuchtet ein. Doch das schreckt die Katzenfreundin nicht.

Den Leser allerdings erschreckt die Penetranz, mit der sich die Frau in Gefahr begibt, obwohl vom – nicht nur dienstlich interessierten – Kommissar eindringlich gewarnt. Der rettet sie in letzter Minute, womit das Klischee „Held rettet unvorsichtiges Frauchen“ bedient wäre.

Als Recke geriert sich auch der Polizist in Anke Clausens „Dinnerparty“, zwischen Fehmarn, Lübeck und Hamburg angesiedelt. Eine Diva bricht bei einer Fernseh-Kochshow tot zusammen, eine Freundin ermittelt auf eigene Faust. Abermals ein Plot, in dem sich eine Frau leichtfertig in Lebensgefahr begibt. Abermals ein mehr als dienstlich interessierter Polizist, der sie rettet. Damit nicht genug: Der junge Scharfrichter in Dagmar Fohls „Das Mädchen und sein Henker“ – platziert ins Hamburg des 18. Jahrhunderts – verliebt sich in eine verurteilte Kindsmörderin und sucht sie zu retten.

Eine ernüchternde Bilanz; vielleicht ist es einem neuen Weibchenkult geschuldet, dass sich hier in drei willkürlich getesteten Krimi-Neuerscheinungen des Nordens dieselbe Konstellation findet. Irritierend auch, dass stets Autorinnen verantwortlich zeichnen; Männer hätten das vermutlich nicht gewagt, um nicht des Chauvinismus bezichtigt zu werden.

Da ist man dann freudig berührt, weil Gunter Gerlach seinem Ermittler Brahms in „Mord ohne Leiche“ lediglich die Hündin Noffi als Ermittlerin zur Seite stellt. Diese Hundedame ist absolut schnüffelsicher. Sie muss nicht von irgendwo gerettet werdenden. Kunststück: Ihr Name ist eine Anspielung auf die vom Pharao Echnaton aus Mitanni nach Ägypten geholte Nofretete. Und die hat der Mut nicht einmal nach Echnatons Tod verlassen. Sie regierte nach seinem Ableben noch eine ganze Weile.