: Letzter Fluchtort Kirche
BÜHNE II Der Heimathafen Neukölln zeigt mit „Ultima Ratio“ ein bedrückend tagesaktuelles Stück über Flüchtlinge aus Afrika
Die Odyssee beginnt mit dem Bürgerkrieg in Somalia. Mit der Flucht über Kenia in den Sudan. Hunger und Durst in der Wüste Sahara, dann endlich die Ankunft in Libyen. Doch auch dort bricht Krieg aus. Die Flucht geht weiter, über Lampedusa ins sizilianische Catania und schließlich ans Ziel: Deutschland. Nach monatelangem Warten im Asylbewerberheim Eisenhüttenstadt das Urteil: Hier dürfen sie nicht bleiben. Es erfolgt die Abschiebung zurück nach Italien.
Bis hierhin haben das so oder so ähnlich Tausende andere erlebt. Es ist die Geschichte von Aliyah und später auch die ihres Mannes Rooble. Der Heimathafen Neukölln bringt sie im Stück „Ultima Ratio“ auf die Bühne. Die Namen der beiden wurden zu ihrem Schutz geändert, ihr Asylverfahren ist noch immer nicht beendet. Doch sie sind nach wie vor in Deutschland. Das haben sie vor allem einer Frau zu verdanken: Lissy Eichert, Pastoralreferentin der katholischen Kirchengemeinde St. Christophorus in Nord-Neukölln. Die schrieb am 30. April 2014 eine Rundmail an ihre Gemeinde: „Wir haben uns entschieden und nehmen am Donnerstag auf.“
Kirchenasyl als Ultima Ratio, als das letzte Mittel, wenn alle anderen rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft sind – das ist eines der Themen des Stücks, das am Samstag Premiere im Heimathafen Neukölln feierte. Mit einfachsten Mitteln wird Aliyahs Geschichte dort anschaulich gemacht: weißes Studio, Overheadprojektor, Licht und Musik. „Ultima Ratio“ ist eine Live-Graphic-Novel: Die Zeichnerin Bente Theuvsen schafft während des Stückes immer wieder neue grafische Hintergründe für das eindrucksvolle, oft stumme Schauspiel von Tanya Erartsin. Dazu erzählt Britta Steffenhagen Aliyahs Geschichte aus dem Off. „Ultima Ratio“ ist die Geschichte einer Frau, geschaffen von Frauen. Lucia von Seldeneck hatte die Idee zum Projekt und begleitete das Paar im Schutzraum der Kirche. Nicole Oder schrieb den Text und führt Regie.
Das Stück macht vor allem die Ungerechtigkeit von Regelungen wie Dublin III deutlich, die besagt, dass politisch Verfolgte, die über einen sicheren Drittstaat einreisen, nur in diesem Land Asyl beantragen dürfen. Während der Flucht, so heißt es im Stück, habe Aliyah oft wenig zu essen gehabt, aber richtigen Hunger lernte sie erst in Italien kennen. Obdachlos auf den Straßen Catanias wird sie gedemütigt und dermaßen misshandelt, dass sie ihr ungeborenes Kind verliert. Sie ist traumatisiert, depressiv und will vor allem eines nicht: zurück nach Italien, den Ort ihres Schmerzes. In der Kirche findet sie Schutz und Geborgenheit. Eindrucksvoll zeigt das Stück auch, wie die Analphabetin Aliyah dort schließlich zur Sprache findet, allein in einem Wald von Buchstaben.
Aliyahs Geschichte ist nicht schön, oft fast unerträglich anzuhören und zu sehen. Mit dem Projektor werden auch die unzähligen Dokumente und Anträge an die Wand geworfen, endlos lange Aktenzeichen sind zu hören. Ein Eindruck von dem Bürokratiedschungel des Asylverfahrens. Doch es gibt im Stück auch lustige Momente, etwa wenn Rainald Grebes „Brandenburg“ die Einöde des Wartens in Eisenhüttenstadt untermalt. Galgenhumor nennt man das wohl.
Das Thema Kirchenasyl ist derzeit in vieler Munde. Die Zahlen der Flüchtlinge, die in Kirchen Schutz suchen, stieg im letzten Jahr rasant an, derzeit geht es deutschlandweit um etwa 400 Menschen. Rechtlich gesehen haben die Kirchen keinen Anspruch, Asyl zu gewähren. Sie vertrauen auf den Respekt des Staates vor kirchlichen Einrichtungen – und haben oft Erfolg damit, Asylanträge im zweiten Anlauf doch noch durchzubringen.
Innenminister Thomas de Maizière sorgte jüngst für Aufsehen mit seinem Argument gegen das Kirchenasyl (dass die Scharia schließlich auch nicht über dem deutschen Grundgesetz stehen dürfe), für das er sich kurz danach entschuldigte. Im Februar kamen die Kirchen und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu der Einigung, dass das Kirchenasyl grundsätzlich nicht infrage gestellt und eine geplante Verschärfung der Fristenregelung vorerst nicht eingeführt wird. Was das konkret heißt, zeigt „Ultima Ratio“: die letzte Hoffnung für Menschen wie Aliyah und Rooble, dass ihre Odyssee doch noch ein gutes Ende nehmen möge. INGA BARTHELS
■ „Ultima Ratio“. Heimathafen Neukölln, nächste Vorstellung am 23. 4. um 19.30 Uhr