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Archiv-Artikel

Der Wind dreht sich

BER-KRISE Vor der Vertrauensfrage am Samstag sortieren sich die Koalitionspartner. Allem Anschein nach werden SPD und CDU geschlossen hinter Klaus Wowereit stehen. Aber dass es hinter den Kulissen gärt, ist nicht mehr zu übersehen

VON STEFAN ALBERTI

Eine Katastrophe sei das mit dem Flughafen. Und wie der Wowereit mit der CDU als Koalitionspartner umgegangen sei: unmöglich! Auch bei ihrer außerordentlichen Sitzung am Dienstagnachmittag, zwei Tage nach Bekanntwerden der erneuten BER-Verschiebung, ist der Ärger in der CDU-Fraktion groß über den Regierenden Bürgermeister und bisherigen Aufsichtsratschef des Flughafens. Der, schon Freitag informiert, hatte es nicht für nötig gehalten, sofort bei der Union durchzuklingeln und von der neuen Sachlage zu berichten – die Christdemokraten erfuhren sie aus den Medien. Eineinhalb Stunden reden die Unionsabgeordneten, fragen nach – und stärken schließlich doch Klaus Wowereit den Rücken.

Einstimmig hätten sich die Abgeordneten dafür ausgesprochen, den von den Grünen angekündigten Misstrauensantrag gegen den Regierenden Bürgermeister abzulehnen, berichtet Fraktionschef Florian Graf nach der Sitzung. Kritik gab es aber durchaus. Graf spricht von „reichlich Verärgerung“ darüber, dass es zu der Verschiebung kam – und dass die Information so spät kam.

Am morgigen Donnerstag soll es eine Sondersitzung des Abgeordnetenhauses mit einer Diskussion dazu geben und am Samstag eine weitere mit der Vertrauensabstimmung als einzigem Tagesordnungspunkt. Namentlich und offen, nicht wie sonst bei Wahlen geheim, müssen die Abgeordneten laut Verfassung dann ihre Stimme abgeben. Regierungssprecher Richard Meng hatte nach der Senatssitzung am Vormittag nahegelegt, Wowereit hätte wie sein brandenburgischer Amtskollege Matthias Platzeck auch von sich aus die Vertrauensfrage gestellt. „Die Grünen sind uns da zuvorgekommen“, sagte Meng. Dass Wowereit sich bereits zu diesem Schritt entschlossen hatte, wollte er allerdings nicht definitiv bestätigen.

Auf die vertraglich vereinbarte Koalitionstreue mit der SPD verweisen diverse CDU-Abgeordnete, bevor sie hinter der Tür des Sitzungssaals 311 verschwinden. In Rufweite tagen die Sozialdemokraten im gegenüberliegenden Flügel des Abgeordnetenhauses. Dort berichtet auf dem Flur der parteilose Finanzsenator Ulrich Nußbaum Journalisten davon, dass Berlin 2012 nicht nur keine neuen Schulden gemacht habe, sondern jetzt auch 300 Millionen Euro Altschulden zurückzahlen könne. Auf den spöttischen Hinweis, dann sei ja genug Geld da für die nun noch höheren Flughafenkosten, verzieht er schmerzlich das Gesicht.

Ein CDUler spricht vor Beginn der Sondersitzung davon, dass es die SPD sei, die den Regierungschef benenne – und somit nicht Sache der CDU, ihn abzuwählen. Andere wiederum machen ihrer Empörung Luft, können nicht verstehen, warum Wowereit als Aufsichtsratschef nicht besser kontrolliert, nicht genauer hingeguckt habe.

Dass den Posten nun Platzeck übernehmen soll, angeblich gegen Henkels Willen, stößt bei der Union auf wenig Begeisterung. Florian Grafs Kommentar fällt knapp aus: „Wir haben diese Entscheidung von Klaus Wowereit zur Kenntnis genommen – das ist seine Entscheidung.“

VON UWE RADA

Klaus Wowereit kommt als Erster. Wortlos betritt er den Saal 306 des Berliner Abgeordnetenhauses. Fraktionssitzung der SPD. Eigentlich Routine. Doch seit dem Sonntag gibt es keine Routine mehr für den Regierenden Bürgermeister. Nach der erneuten Flughafenabsage gab es sogar die erste Rücktrittsforderung aus der eigenen Partei. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Danckert, in dessen Wahlkreis der neue Großflughafen liegt, rückte in der Rheinischen Post vom Regierenden Bürgermeister ab: „Ob die Nibelungentreue zu Klaus Wowereit so förderlich ist, bezweifle ich.“ Die Berliner SPD müsse jetzt entscheiden, wie es weitergeht. Notfalls sollte der SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß das Amt übernehmen, forderte Danckert.

Zwar entscheidet am Dienstagnachmittag nicht die Berliner SPD. Wohl aber kommen die 47 Mitglieder der SPD-Fraktion zusammen, um über die Zukunft ihres Regierungschefs und der rot-schwarzen Koalition zu beraten. Schon vor der Sitzung macht Fraktionschef Raed Saleh deutlich, dass für kritische Fragen – etwa Wowereits Rolle im Aufsichtsrat des BER – derzeit kein Raum sei. „Die SPD-Fraktion steht geschlossen hinter dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit“, gibt Saleh zu Protokoll. Die Ankündigung der Opposition, Wowereit im Abgeordnetenhaus das Vertrauen entziehen zu wollen, lässt die Reihen der Sozialdemokraten schließen.

Zwischen Pest und Cholera

Nibelungentreue aber sieht anders aus. „Zwischen Pest und Cholera“ sieht ein Sozialdemokrat die Lage der Berliner SPD. Weder hat die Partei einen Nachfolger für Wowereit parat, noch mögen sich die Genossen vorstellen, bis 2016 von ihm weiter ins Umfragetief gezogen zu werden. Also formuliert die Partei Durchhalteparolen wie die des Abgeordneten Lars Oberg. Der sagt vor der Fraktionssitzung: „Klaus Wowereit ist für die ganze Legislaturperiode gewählt, und wir stehen dafür, dass es auch so bleibt.“ Als er das Phrasenhafte seines Satzes bemerkt, scherzt er: „Was soll ich auch sonst sagen?“

Nicht viel sagen will auch Dilek Kolat. Etwas verspätet, mit einem Aktenordner unterm Arm, eilt die Arbeitssenatorin ins Abgeordnetenhaus. „Nein“, erklärt sie, „eine Führungsdiskussion steht nicht an.“ Derzeit zumindest nicht, schränkt sie ein, schließlich will sie im Spiel bleiben. Kolats Name ist einer von dreien, der fällt, wenn es um die Wowereit-Nachfolge geht. Die anderen sind Finanzsenator Ulrich Nußbaum und Stadtentwicklungssenator Michael Müller. Fraktionschef Saleh und Landeschef Jan Stöß, heißt es übereinstimmend, hätten keine Ambitionen, Wowereit zu beerben. Sie warten, bis ihre Zeit gekommen ist. Das erklärt auch den Treueschwur für Wowereit. Irgendwann, wissen sie, kommt keiner mehr an ihnen vorbei. Auch nicht eine Dilek Kolat.

Vorerst organisiert Saleh Mehrheiten für den Noch-Regierungschef. „Wir hatten eine gute und offene Diskussion“, sagt der Fraktionschef nach der zweistündigen Sitzung. „Es gibt ein klares Bekenntnis zum Regierenden Bürgermeister. Wir lehnen das Misstrauensvotum ab.“