: „Ich bin ein Ewiggestriger, darum bin ich noch hier“
HUSUM Vor 35 Jahren gründete Swen Christiansen das „Rocks Off“. Heute kommen zu ihm Kunden aus aller Welt.
Das „Rocks Off“ ist vor allem – voll. Wer seine Ellenbogen nicht unter Kontrolle hat, wirft leicht einen Stapel Comichefte zu Boden oder bringt DVDs ins Wanken. Gesichert sind nur die Platten: In hölzernen Fächern in bequemer Stöberhöhe steckt jede einzelne in einer Plastikhülle, sortiert nach Genres und Interpreten. Von Klassik bis Punk, „von Abba bis Zappa“, hat Swen Christiansen alles da, mit einer Ausnahme: „Hier ist technofreie Zone.“
Seit 35 Jahren betreibt Christiansen den kleinen Platten-, CD- und Comicladen in Husum, seine Kundschaft kommt aus dem Nachbarhaus ebenso wie aus Japan. Illusionen macht er sich dennoch nicht: So sehr zurzeit auch das Comeback der Platte beschworen werde – „die Jugendlichen kennen keinen Plattenladen mehr von innen“.
16 Kilometer zum nächsten Händler radeln, nur um die neue Scheibe von Deep Purple oder den Stones in die Hände zu bekommen? Für Christiansen, der aus dem Dorf Winnert in Nordfriesland stammt, war das selbstverständlich. Der 54-Jährige lernte Einzelhandelskaufmann und arbeitete in Kiel, bevor er mit seiner Frau, die hier eine Stelle gefunden hatte, nach Husum zog. Schon damals war es klar, dass ein eigener Plattenladen keine Reichtümer bringen würde – die Geschäfte machten die Großen wie Karstadt. Heute ist dessen Filiale geschlossen, und das Rocks Off besteht weiter: „Ich bin ein Ewiggestriger, das ist ein Teil des Grundes, warum ich noch hier bin“, sagt Christiansen.
Der zweite Teil sind sein Fachwissen und die Menge an Waren, die in den zwei kleinen Räumen stehen. Es könnten noch mehr sein: Einige hundert Platten, CDs oder Comic-Hefte bekomme er täglich angeboten, das Meiste aus Nachlässen oder Wohnungsauflösungen: „Generation James Last geht ins Altenheim“, sagt Christiansen. Brauchbar ist wenig: „Auch wenn es schwarz ist und ein Loch in der Mitte hat, bleibt es Schrott.“ Aber in den alten Sammlungen finden sich manchmal Schätze – oder zumindest Skurriles wie ein handverziertes Album mit Freddy-Quinn-Singles: „Verkaufen kann ich so etwas nicht, aber ist es nicht einfach schön?“
Er hat Stammkunden und immer wieder Besucher, die ihn gezielt aufsuchen wie die Death-Metal-Fans aus der Schweiz, die auf dem Weg zu einem Konzert in Norwegen bei ihm Station machten. Ein Tourist aus den USA kehrte vor einem Besuch beim Wacken-Open-Air ein. Ein Husum-Urlauber kommt regelmäßig mit einem Kofferraum voller Platten und fährt mit ebenso viel Ware wieder ab. Christiansen sieht seinen Laden als festen Punkt in einer sich ändernden Welt: „Die Leute wissen, dass hier alles bleibt, wie es immer war.“ Internet-Verkauf hat er probiert und wieder gelassen: „Die guten Stücke wollen die Leute zum Flohmarktpreis. Und Ladenhüter werde ich auch im Netz nicht los.“
Mut macht ihm ein Blick in die Geschichte: Als Anfang des 20. Jahrhunderts die Schallplatte ihren Siegeszug antrat und mit Enrico Caruso der erste Plattenstar geboren wurde, litt die Papierindustrie – bis dahin war die Musikindustrie eine Notenblatt-Industrie gewesen. „Die Träger ändern sich, die Musik bleibt“, sagt Christiansen. Und legt eine neue Platte auf. ESTHER GEISSLINGER