Ein euphorisches Leben mit Vinyl

SOUND In Berlin begehen sie heute den Records Store Day – auch DJ Paramida tut das, die tagsüber im Plattenladen arbeitet und nachts in Clubs auflegt

VON PHILIPP RHENSIUS

Was bringt jemanden dazu, jedes Wochenende in einem viel zu lauten Raum mit viel zu schlechter Luft unablässig schwarze Kunststoffscheiben auf ein rotierendes Gerät zu legen? Der Ruhm? Das Geld? Oder doch dieser euphorische Moment, im Kollektiv zwischen vielen tanzenden Körpern zu verschwinden und dabei zugleich ganz bei sich selbst zu sein, mit der Musik und dem eigenen Körper, der sich mit ihr synchronisiert? Bei DJ Paramida ist es klar Letzteres. Vor fünf Jahren zog sie von Wiesbaden nach Berlin, um diesem Ausnahmezustand zwischen Hedonismus, Musik und Selbstvergessenheit näher zu sein. Und um dem „Muff der Provinz zu entkommen“, sagt sie, während ein paar zögerliche Sonnenstrahlen von der Ankunft des Frühlings erzählen. Aus der offen stehenden Tür des Plattenladens Oye Records in der Neuköllner Friedelstraße weht ein gedämpfter Housebeat herüber.

Der Club Wilde Renate

Die „Flucht“ aus der Provinz war die richtige Entscheidung. Innerhalb nur weniger Jahre hat Paramida das erreicht, was für viele DJs, die hier leben, nur ein Tagtraum bleibt. Tagsüber arbeitet sie in einem der renommiertesten Plattenläden der Stadt, abends legt sie in einem der Berliner Clubs auf und inzwischen auch öfter im Ausland. Erst vor einigen Wochen ist sie von einer USA-Tour zurückgekehrt, die sie nach New York und L. A. führte.

Seit einem Jahr betreibt sie das Label Love On The Rocks, auf dem im Mai die fünfte Platte erscheint. Mit „Paradisco“ hat sie ihre eigene Partyreihe im Club Wilde Renate, was ihr endlich die Möglichkeit gibt, ihren auch für die Clubmetropole Berlin ungewöhnlichen Sound zwischen Disco und House zu etablieren. Dass beides von Anfang an gut lief, ist womöglich der Gründlichkeit zu verdanken, die ihrem Namen alle Ehre macht. Paramida stammt aus dem Sanskrit und bedeutet „Perfektion“. „Aber schreib das bitte nicht“, sagt die 26-Jährige leicht verlegen, lässt sich dann aber doch noch überreden. Immerhin zieht sich das Prinzip wie ein roter Faden durch ihre Karriere.

Hinter ihr liegt schon ein langer Weg, von den Teenagerjahren als Skaterin in Darmstadt bis zu den ersten Clubnächten im Offenbacher „Robert Johnson“, einer der angesagtesten Adressen für Clubmusik. Mit dem Auflegen begonnen hat sie in Wiesbadener Bars, woran sie jedoch schnell die Lust verlor. Nicht nur weil kaum jemand die Musik zu schätzen wusste, sondern auch weil sie anfangs belächelt wurde, vorwiegend von männlichen „Idioten“. Größere Probleme, sich als Frau in der männerdominierten Clubkultur zu etablieren, hatte sie jedoch nie. „Aber“, räumt sie ein, „als Frau wird man teilweise immer noch nach zweierlei Maß beurteilt. Zuerst nach dem Aussehen und dann erst nach der Qualität des DJ-Sets.“ Daraus zog sie Konsequenzen. „Irgendwann habe ich mir die Haare kurz geschnitten und beim Auflegen Jogginghosen getragen. Das Oberflächliche ging mir auf die Nerven.“

Erste Raves in Teheran

Als politische Arena möchte sie Clubkultur nicht verstanden wissen. Kürzlich legte sie auf einer „antideutschen“ Party auf, was für sie eine ambivalente Angelegenheit war. „Ich kann die Idee dahinter gut verstehen, aber angesichts meines Migrationshintergrunds finde ich es erst mal erfreulich, einen deutschen Pass zu haben.“ An Clubs schätzt sie vielmehr, dass dort viele unterschiedliche Leute zusammenkommen, ohne dass klar ist, was für einen Background sie haben. Party und Politik, das sind für sie getrennte Sphären.

Dabei hatte sie ihre erste Club-Epiphanie in einer Umgebung, in der das Feiern politischer nicht hätte sein können. Im Alter von 13 bis 17 Jahren lebte sie im Iran. Damals ging sie auf eine deutsche Schule in Teheran, wo Techno gerade ankam, zumindest im kleinen Undergroundkreis. Besonders intensiv seien die Partys in einem zum Privatclub ausgebauten Wohnungskeller gewesen. Ab 23 Uhr durfte keiner mehr rein oder raus, aus „Sicherheitsgründen“. Es gab auch Open-Air-Raves, außerhalb der von einer Gebirgskette umschlossenen Stadt. „Wir trafen uns mit mehreren Autos, luden Mixer und Soundsystem ein und fuhren Richtung Gebirge. Generell waren es aber eher reiche Kids“, sagt Paramida, als zwei junge Frauen durch die Tür von Oye Records treten. Es ist eine ungewöhnliche Quote an diesem Tag, normalerweise sind immer noch bis zu neunzig Prozent der Kunden männlich, schätzt die gebürtige Hessin. Aber das ändert sich gerade, überhaupt sei die Nachfrage nach Vinyl enorm gestiegen.

Gerade zum „Record Store Day“, der heute in der Hauptstadt begangen wird, erscheint allein im House-Bereich so viel Neues, dass sie schnell den Überblick verliert. Ganz im Gegensatz zu ihrer Zukunft. Diese liegt für sie nicht unbedingt in Berlin. Die dortige Clubszene langweilt sie zunehmend, da fast überall immer nur der gleiche Sound laufe.

Viel interessantere Partys, sagt sie, gebe es im Rest der Welt, besonders in Los Angeles. Vielleicht verschlägt es sie ja bald schon dorthin, überlegt sie und schaut auf die gegenüberliegende Häuserwand, auf die die von der kühlen Luft gefilterte Sonne diffuse Lichtflecken geworfen hat.

Der Plattenladen ist inzwischen voll mit jungen Kunden. Aus ihren Gesichtern spricht die für Sammler typische Mischung aus Demut und Ergriffenheit. Einige nicken beim Probehören mit dem Kopf, andere halten eine Platte in der Hand, als sei sie der letzte Halt in einer immer komplizierter werdenden Welt.

Paramida entschuldigt sich, sie muss zurück an den Tresen. Platten verkaufen.