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Archiv-Artikel

OFF-KINO

Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

LARS PENNING

Der heute 85-jährige amerikanische Regisseur Frederick Wiseman ist vor allem bekannt für seine dokumentarischen Institutionenporträts, in denen er die Interaktion zwischen verschiedensten gesellschaftlichen Einrichtungen und dem Leben der Bürger hinterfragt. Schule, Psychiatrie, Wohlfahrtsbehörde oder Pariser Oper: Wiseman arbeitet heraus, wie sie funktionieren, was sie repräsentieren und wie sie sich verhalten zu ihren Klienten, Patienten, Besuchern und Mitarbeitern. Dabei filmt Wiseman ohne vorherige Recherche, was er vorfindet – seine schlussendliche Bedeutung erhält das Material erst bei der Montage. In seinem bislang jüngsten Film widmet er sich der National Gallery in London, der berühmten Gemäldegalerie am Trafalgar Square, und das Ergebnis ist vorhersehbar kein touristischer Rundgang durchs Museum: Wiseman blickt einerseits auf die Anstrengungen, die dort in Sachen Kunstvermittlung gegenüber dem Publikum geleistet werden, und andererseits auf das Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Arbeit und Marketing – bei gleichzeitiger Budgetkürzung durch die öffentliche Hand. Da werden Bilder interpretiert, Gemälderestaurierungen erklärt, Budgetpläne diskutiert und es wird über den Sinn von Wohltätigkeitsveranstaltungen gestritten – all diesen Themen gibt Wiseman die Zeit, sich zu entfalten, immerhin dauert „National Gallery“ drei Stunden. Als Zuschauer braucht man also Geduld und Aufmerksamkeit, wird am Ende aber mit einem im besten Sinne demokratischen Seherlebnis belohnt (OmU, 19. 4., Acud Kino 2).

Eine glückliche Hand – zumindest mit seinen Dokumentationen – hatte in den vergangenen Jahren auch Wim Wenders, der in „Das Salz der Erde“ Leben und Werk des Fotografen Sebastião Salgado rekapituliert. Der Brasilianer Salgado gehört zu den bedeutendsten Fotografen der Gegenwart, der insbesondere mit Fotos zu gesellschaftspolitischen Themen bekannt wurde, die gleichwohl jenseits reiner Reportage klar erkennbare Kunstwerke sind. In der Dokumentation verbinden sich die von Salgados Sohn Juliano Ribeiro Salgado erstellten Bilddokumente von verschiedenen beruflichen Reisen des Vaters schlüssig mit den von Wim Wenders gedrehten Interviews mit dem Fotografen, der – während er seine eigenen Bilder betrachtet – die Hintergründe der berühmten Fotoserien erläutert. Dabei erfährt man tatsächlich viel über einen beeindruckenden Menschen, dem das immer wieder dokumentierte menschliche Leid über die Jahre so nahe ging, dass er sich heute beruflich und privat vor allem mit Fragen des Umweltschutzes und der Naturschönheit beschäftigt. (19. 4., Kino im Kulturhaus Spandau sowie 16. 4. & 17. 4. und 20. bis 22. 4., Tilsiter Lichtspiele)