piwik no script img

Archiv-Artikel

„Wir brauchen die Reichen“

LEBENSMITTEL Annemarie Dose hat die Hamburger Tafel gegründet, die von der Überproduktion leben

Von FAL
Annemarie Dose

■ 87, gründete 1994 die Hamburger Tafel und bekam dafür das Verdienstkreuz des Bundes. Foto: dpa

taz: Frau Dose, wieso haben Sie die Tafel in Hamburg gegründet?

Annemarie Dose: Meist steht hinter so einer Entscheidung etwas Persönliches, bei mir war es der Tod meines Mannes. Die Kinder waren aus dem Haus und es stellte sich die Frage, wie nutzt man nun den Rest seines Lebens. Ich kannte die Tafeln aus dem Fernsehen. Das habe ich kurzerhand nachgemacht. Heute haben wir über 100 Mitarbeiter.

Woher kommen die Spenden?

Da sind wir auf die Reichen angewiesen. Auf die, die wirklich einen Euro übrig haben. Die Warenspenden kommen vom Handel. Da gibt es immer Überschuss und die Firmen, die uns unterstützen, tun das gern. Es ist ja auch grauenhaft, dass so viel produziert und am Ende so viel weggeschmissen wird.

Kaschieren die Tafeln nicht ein gesellschaftliches Problem?

Arme und Reiche hat es schon immer gegeben, genauso wie Geben und Nehmen. Da können sie bis zu Sokrates zurückgehen. Es gibt nun mal kein Land, in dem der Wohlstand gleich verteilt ist. Wo Reichtum ist, ist auch die Armut. Die Mittelschicht kann hier aber für die beiden Extreme so etwas wie sozialer Kitt sein.

Viele sagen, die Tafeln seien entwürdigend für Bedürftige.

Es ist immer unangenehm, in die Situation zu kommen, Hilfe annehmen zu müssen. Aber die Leute werden würdevoll behandelt. Wir bieten zum Beispiel auch Kochkurse an, weil viele, die zu uns kommen, das nie gelernt haben. Und Kochen ist mit wenig Geld ungleich schwieriger. Der Preis von einem Euro pro Kochkurs ist hier ein symbolischer Preis. Wie steht es um die Zukunft der Tafeln?

Es geht auf und ab, aber weiter geht es immer. Probleme gibt es tatsächlich, wenn bei der Überproduktion der Lebensmittel gedrosselt wird, denn dann sind zu wenig Übermengen da und auf einmal fangen wir Tafeln an, zu klagen.

Sie sind da also in einer Zwickmühle?

Auf der einen Seite ist es natürlich gut, wenn Firmen weniger Rohstoffe verbrauchen, weil so weniger weggeschmissen wird. Aber andererseits leben wir natürlich davon.  INTERVIEW: FAL

Vortrag „Was wird aus der Hamburger Tafel?“: 18.30 Uhr, in der Bibliothek der Ohlendorffschen Villa, Im Alten Dorfe 28