MENTALE GESUNDHEIT
: Ein Metzger für dich

Neben meinen Rückenschmerzen habe ich nämlich: Arbeit. Die ist auch chronisch

Über Wochen hatte B. versucht, mich in einen Yogakurs zu locken, den er und seine Frau besuchen. Erfolglos. „Ich will nicht“, sagte ich. B. lächelte dann. „Doch“, antwortete er. An Silvester schmuggelte er mich sogar in das Wohnzimmer der Yogalehrerin, die mit ihren Jüngern zwischen Luftschlangen und Gästesocken feierte. Ich betrank mich schnell und ging eilig.

Mit Yoga wurde es also nichts. Ich habe nämlich einfach keine Lust. Zeit auch nicht. Neben meinen Rückenschmerzen habe ich nämlich: Arbeit. Die ist auch chronisch. Ich verbrächte meine spärliche Freizeit lieber mit der Pflege meiner mentalen Gesundheit, erkläre ich B. Der mustert mich skeptisch. Und redet unbeeindruckt weiter. B. nämlich hat eine neue Strategie. Er schwärmt mir von seinem Physiotherapeuten vor, der nichts sagt und seine Arbeit verrichtet, gut aussieht. B. schaue ihn an und entspanne sich. Er tut das aber nicht, weil er es nötig hätte. Lange nämlich hatte er weder Aufenthaltsgenehmigung noch Krankenversicherung. Nun hat er beides. Und rächt sich: Massagen, Hypnose, Ernährungsberatung. Er geht zu Frauen und Männern, die schön sind, jung, polyglott, gebildet. Sie empfangen ihn in Neuköllner Altbauwohnungen, in denen Siamkatzen auf Dielen schnurren.

„You need a nice man to treat you!“, ruft B. jedenfalls. Er ist überzeugt, seinen Joker gezogen zu haben. – „Never“, sage ich und drehe mich weg. Ich habe ein genaues Bild von der Person, die sich an mir zu schaffen machen darf: eine gemütliche Berlinerin, rund und mit hängenden Brüsten. Eine, die schimpft. Und die Kasse bescheißt. Aus Prinzip. B. rudert wild mit den Armen. Dann setzt er noch einen drauf: Er zitiert seine Mutter. Intellektuelle Frauen, so sage die, bräuchten einen Metzger an ihrer Seite, mindestens aber einen Handwerker. „Or a physiotherapist“, wandelt er das Bonmot triumphierend ab. SONJA VOGEL