Auch Platz für die Hörer lassen

MUSIK „Indie Classical“ nennt das Trabant Echo Orchestra seine Mischung aus Jazz, Neuer Musik und Postrock. Am Sonntag stellen die Musiker aus Berlin und Zürich ihr Debütalbum „Winter Suite“ im Roten Salon vor

„Wir fordern etwas Aufmerksamkeit ein, versuchen aber auch, das zu belohnen“

TOBIAS VON GLENCK VOM ORCHESTRA

VON TIM CASPAR BOEHME

Tobias von Glenck ist ein Zwitterwesen. Nicht im geschlechtlichen Sinne, sondern im musikalischen. Der Wahlberliner hat in Zürich Jazzbass studiert, parallel dazu aber auch Komposition. In zwei getrennten Gebäuden, bei sehr unterschiedlichen Dozenten, die nicht immer das Doppelinteresse von Glencks teilten.

„Ein Professor von mir meinte, Jazz sei ein bisschen wie Salamischneiden. Einfach Schnitt, Schnitt, Schnitt, weil es immer der gleiche Takt ist“, sagt er. Mit solchen Leuten sei es schwierig gewesen, über Themen wie „Groove oder afroamerikanische Rhythmen“ zu sprechen. Stattdessen sprach von Glenck dann über Klänge und Strukturen in der Musik.

Strukturen spielen auch in seinem jüngsten Projekt, dem vor anderthalb Jahren gegründeten Trabant Echo Orchestra, eine wichtige Rolle. Dieses „Orchester“ ist eine Art erweiterte Version seines Indierock-Trios – hier droht Verwirrung – Trabant Echo. Wobei auch das Orchestra weniger ein loses Ensemble ist als eine „Rockband“, allerdings in der untypischen Besetzung Klavier, Bratsche, Cello, Kontrabass und Perkussion. Die Musik ist komponiert, stellenweise improvisiert – und will sich nicht so recht in gängige Kategorien einordnen lassen. „Indie Classical“ nennt die Band ihren Stil.

„Indie Classical kommt daher, dass wir die Independent-Musik aus dem Postrock sehr schätzen und es da verschiedene Gruppierungen gibt, die mit klassischen Instrumenten arbeiten oder klassische Musik in ein anderes Umfeld zu transportieren versuchen“, so von Glenck. „Dem wollen wir uns ein bisschen anschließen.“ Man verwendet repetitive Muster wie im Postrock, live arbeitet das Trabant Echo Orchestra auf der Bühne mit Verstärkern und einem Soundtechniker. Dinge, die im Pop und Rock weit üblicher sind als in der klassischen Musik.

Diese Ambivalenz, das Dazwischen, ist ein Kennzeichen des Trabant Echo Orchestra, das mit „Winter Suite“ soeben sein Debütalbum vorgelegt hat. Ein wenig meint man, Neue Musik der zugänglicheren Art zu hören, allein der Rhythmus überrascht mit ungewöhnlich viel Groove, der fast swingt. Tobias von Glenck, der die Musik dieser vierteiligen Suite komponiert hat, will die Welt der klassischen Musik und des Jazz ganz bewusst zusammenführen. Beide haben für sich genommen Besonderheiten, die ihn faszinieren und die er vor allem gern in Kombination hört.

„In der klassischen Musik haben die Musiker immer ein ganz breites Spektrum an Farben. Für diese unterschiedlichen Klangfarben lässt sich etwas schreiben, und das ist dann nicht nur der Miles-Davis-Sound“, beschreibt von Glenck seinen Ansatz. Nicht, dass ihn der Miles-Davis-Sound stören würde. Der Jazztrompeter habe sogar „einen ganz unglaublichen Sound“ gehabt. Vielmehr will von Glenck in seiner Musik nicht nur einen einzigen spezifischen Sound haben, sondern die klangliche Flexibilität klassisch ausgebildeter Musiker nutzen, die er dann mit den Strukturen des Jazz in Dialog bringt.

Auf die Idee mit den klassischen Instrumenten kam von Glenck während der Arbeit mit seinem Trio Trabant Echo. In dieser kleineren Besetzung hatten er und seine Mitstreiter – der Schlagzeuger Martin Lorenz, der auch im Orchestra trommelt, und der Gitarrist Simon James – unter anderem Samples von klassischer Musik auf Schallplatte ritzen lassen und darüber improvisiert. Oder sie nahmen eigene „Klassik“-Samples auf. Irgendwann beschloss von Glenck, einfach direkt für klassische Instrumente zu komponieren.

Von Glenck ist jedoch kein abstrakt denkender Komponist, für den die Noten auf dem Papier den Klängen im Konzertsaal ebenbürtig sind. „Es ist erst Musik, wenn es interpretiert und gespielt ist“, sagt er. Die Suite hat er gezielt für die Musiker des Ensembles geschrieben, auf ihre Fähigkeiten und Vorlieben hin. Wenn sich eine Stelle bei den Proben als noch nicht perfekt erwies, schrieb von Glenck sie eben noch einmal um.

Songformate sind dabei nicht seine Sache. Die Stücke können schon mal 15 Minuten dauern, ein wenig auch als Gegentrend zu den zahllosen Kürzestclips im Internet, die „nur noch 60 Sekunden dauern dürfen“. „Wir fordern ein bisschen Aufmerksamkeit ein, versuchen aber auch, das zu belohnen und damit etwas zu geben.“

Die Musik hält sich mit ausladenden Melodien und verspielten Arrangements eher zurück, gibt sich lieber lakonisch – auch das eine Parallele zum Postrock. „Ich versuche, die Sachen mit einer gewissen Kargheit und Sperrigkeit zu schreiben, sodass noch Platz für den Hörer oder die Hörerin ist, Sachen hinzuzuhören, die gar nicht da sind, die aber da sein könnten“, beschreibt von Glenck seinen Ansatz. „Ich mag es, wenn in der Musik eine gewisse Offenheit ist, weil ich mich dann angeregt fühle, wirklich mitzuhören. Es ist vielleicht etwas anstrengender, als wenn alles mitgeliefert wird, aber die Hörerfahrung finde ich reicher.“

Am Sonntag stellt das Trabant Echo Orchestra seine karge „Winter Suite“ im Roten Salon vor. Mit im Programm ist das Werk „Tower of Meaning“ des Komponisten Arthur Russell, der sich – noch so ein musikalisches Zwitterwesen – mühelos zwischen Neuer Musik und Disco bewegte.

■ Trabant Echo Orchestra: „Winter Suite“ (Qilin Records/Broken Silence). Live mit Gästen am Sonntag, 21 Uhr, Roter Salon