: „Brille auf und ab an den Pool!“
CYBERWELT Urlaubssprünge von Zypern nach Rhodos oder auf das Empire State Building – in nur 15 Minuten und ganz virtuell. Können wir uns das Reisen künftig sparen?
VON DAVID SAHAY
Am Pool wird es plötzlich hektisch: Der Vater in Badehose schreit auf und rennt los. Richtung Beckenrand. Dem Ball hinterher. Er jagt an mir vorbei, so dicht, dass ich zurückweichen will. Doch ich kann nicht. Denn ich bin nicht in Protaras, einem Badeort nahe der zyprischen Küste. Ich sitze auf der Kunstledercouch eines Reisebüros in Jena. An der Decke Neonlampen, der Fußboden besteht aus sandfarbenen Kieselsteinen. Die Wand ist tapeziert mit Katalogen, ein Schild macht Werbung: „Brille auf und ab an den Pool!“
Genau deshalb bin ich hier. Der Reiseveranstalter Thomas Cook bietet in drei seiner deutschen Läden virtuelle Urlaubstrips an. Das Pilotprojekt soll testen, ob Datenbrillen eine Verkaufshilfe sind. Ich aber bin arm und faul. Will wissen, ob es nicht lässiger ist, sich drei Reisen, rund 4.000 Euro und fast 40 Stunden Flug zu sparen und vom Sofa aus unterwegs zu sein.
Bin ich der Tourist der Zukunft? So trage ich ein Gerät, das aussieht wie eine Mischung aus Taucherbrille und Requisite aus einem „Star Wars“-Film. Eine Datenbrille. Und mache damit Ferien. Mein Urlaubstrip ist ein Video. Doch es fühlt sich echt an, beinahe sogar real. Denn wenn ich mich umblicke, sorgen Sensoren in der Brille dafür, dass sich auch der Bildausschnitt im Film ändert.
Wie aus dem Reisekatalog
In meinen virtuellen Ferien stehe ich noch immer in einem zyprischen Sommertag. Vor mir liegt der Pool wie aus einem der Reisekataloge. Hellblau gekachelt, mit künstlichen Sandklippen und einer Familie, die gerade im Wasser plantscht. Der Vater des Kinds fischt rechts von mir den Ball aus dem Wasser. Hinter mir entdecke ich eine Blondine auf einer Liege. Sie cremt sich die Beine ein. Ich schäme mich ein wenig, sie so zu beobachten.
Dann werde ich aus der Szene gerissen. Abrupt lande ich auf einem Balkon und blicke in ein Hotelapartment. Wo ist die Blondine? Ich drehe den Kopf nach vorn und entdecke unter mir erneut das Schwimmbecken.
An den Videokameras, die diese Szenen aufgenommen haben, wurde offenbar gegeizt: Die Küste in der Ferne bleibt unscharf und matschig. Es bleibt ohnehin keine Zeit, den Ausblick zu genießen. Schon wieder ändert sich der Ort. Gegen meinen Willen. Als würde mich ein brutal motivierter Reiseführer von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten hetzen. Aus den Kopfhörern der Brille prasselt störende Musik. Genervt nehme ich die Stöpsel aus dem Ohr; ich wollte doch entspannen.
Von draußen dringt eine Mischung aus Stimmengewirr und dem mechanischen Wispern der Rolltreppen in meine Fantasie. Meeresrauschen, versuche ich mir einzureden. Es riecht nach Kunstledercouch.
In meinem virtuellen Urlaubstrip geht es voran. Wie auf Gleisen schwebe ich dem Pool mit seinen künstlichen Sandklippen entgegen. Instinktiv blicke ich hinter mich und entdecke einen Verfolger.
Roter Bart und Sonnenbrille. Offenbar der Mann, der mit einer Videokamera durch die Gegend filmt, damit ich, ohne mich zu regen, verreisen kann. Der Film ist vorbei.
Ohne Flug nach New York
Nächster Halt: New York. Ohne Jetlag und auch ohne 15-Stunden-Flug gelange ich nach Amerika. Die Sicht vom Rockefeller Center ist fantastisch.
Da stehe ich und bestaune das Empire State Building. Gehupe und Großstadtrauschen wabern zu mir herauf. Ich darf einen Moment verweilen. Wenn ich jetzt nur den Wind im Gesicht spüren könnte, wäre mein Tag gerettet.
Zum Abschluss meiner Reise durch die amerikanische Großstadt wird es noch einmal aufregend: Ich schaue nach vorn. Nach hinten. Nach rechts und links unten – ich fliege!
Über mir rattert ein Helikopter, unter mir leuchtet New York in der Abendsonne. Die Hochhäuser der Stadt reihen sich akkurat aneinander, wie die Buchstaben auf einer Tastatur. Links entdecke ich das Rockefeller Center, dahinter den Central Park.
Von der Couch aus über Manhattan, wie kann es noch besser werden? Kann es nicht. Rhodos, der letzte Teil der Reise, ist eine Enttäuschung. Ich sichte genormte Schwimmbecken, geschmacklose Apartments und ein lieblos angerichtetes Buffet. Mitten in der Reise bricht das Video ab. Das Gerät sei heiß gelaufen. Auf dem Sofa macht sich Ernüchterung breit.
Trotzdem, drei Städte in nur 15 Minuten: Auf Partys werde ich künftig den Kosmopoliten geben. Ich kaufe mir einen Hotdog.