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Archiv-Artikel

Was wollen die Pollen?

NIESNUTZ Man kann akuten Heuschnupfen natürlich behandeln, noch besser ist aber das Vorbeugeprinzip – und die Frage nach den Ursachen der Allergie. Schon eine andere Ernährungsweise kann Abhilfe schaffen

Das erscheinungsfreie Intervall zwischen Herbst und Frühjahr kann genutzt werden

VON ANSGAR WARNER

Es geht wieder los: Wenn im Frühjahr die Heuschnupfensaison beginnt, leiden mehr als 20 Prozent der Deutschen unter lästigen Symptomen. Die Nase läuft, die Augen brennen, der Rachen juckt. Doch Pollenallergiker sollten nicht die Pollen verantwortlich machen, die allergischen Reaktionen der Schleimhäute dürfen als Warnsignal verstanden werden: „Sie zeigen dem Menschen, dass er sich eventuell über längere Zeit einseitig verausgabt oder überfordert hat“, so Brigitte Roesler, praktizierende anthroposophische Hautärztin aus Berlin.

Um die Ursachen hinter den Symptomen zu verstehen, beginnen komplementärmedizinische Therapien mit dem Anamnesegespräch: „Die genaue Befragung über die persönliche Krankengeschichte steht vor der Diagnose“, so Brigitte Roesler. „Dazu gehören zum Beispiel die familiären Voraussetzungen, die Arbeitsbelastung, Freizeitbetätigungen, Ernährung oder die Einnahme von Medikamenten“.

Daraus können sich Empfehlungen für den Alltag ergeben, die bei der Vorbeugung hilfreich sind. Selbst wenn akute Beschwerden sich durchaus alternativ behandeln lassen, sollte man auch das erscheinungsfreie Intervall zwischen Herbst und Frühjahr nutzen: „Über mehrere Jahre wird die allergische Disposition auf diesem Weg stufenweise zum Abklingen gebracht“.

Zum Beispiel durch veränderte Ernährungsweise, etwa die Umstellung auf naturbelassene Vollwertkost aus biologisch-dynamischer Landwirtschaft: „Milchsauer vergorene Nahrungsmittel wie Gemüsesäfte, Joghurt oder Quark begünstigen den Erhalt einer gesunden Darmflora“, so Roesler. Gleiches gelte für ballaststoffreiche Produkte wie Haferkleie, Chicorée oder Feigen. Die besondere Rolle der Prophylaxe betont auch Cornelia Bajic, klassisch homöopathisch arbeitende Ärztin: „Bei chronischen Beschwerden, die akut jedes Jahr wiederkehren, ist eine konstitutionelle Behandlung beim homöopathischen Arzt zu empfehlen“, so die in Remscheid praktizierende Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte.

Die homöopathische Therapie beginnt ebenfalls mit einem Anamnesegespräch, um anschließend die passende Arznei nach dem „Ähnlichkeitsprinzip“ auszuwählen, sowohl zur Vorbeugung, aber auch in akuten Fällen.

Auch von außen kann man dem Immunsystem positive Impulse geben. Zum Beispiel mit Wärmereizen, so Brigitte Roesler: „Das kann Bewegung im Freien sein, bei der man schwitzt, ein warmes Fußbad, ein Zitronen-Öl-Bad, im Winter etwa ein Saunagang.“

Auf die Wiederherstellung des verlorenen Gleichgewichts zielt auch die altbewährte Philosophie von Sebastian Kneipp. „Kaum ein Umstand kann schädlicher auf die Gesundheit wirken als die Lebensweise unserer Tage“, schrieb der Pfarrer aus Wörishofen dem modernen Stadtmenschen schon vor mehr als 150 Jahren ins Stammbuch. Zum Ausgleich setzte der „Wasserdoktor“ auf eine Kurkombination aus Bewegung und Muße, gesunde Ernährung sowie Zubereitungen wie etwa Tees, Kräuterpulver, Tinkturen oder Ölen, und eben auf die Hydrotherapie.

„Ob Gesichts-, Schenkel- oder Knieguss – mit kurzen Kaltreizen kann man das Immunsystem regelrecht trainieren“, weiß Bernhard Uehleke, Mediziner und Physiker mit den Arbeitsschwerpunkten Naturheilkunde und Phytotherapie an der Berliner Charité und vormals langjähriger medizinischer Leiter der Kneipp-Werke. Ausgehend von den Kaltrezeptoren der Haut werde der gesamte Organismus beeinflusst: „Für uns Warmblütler ist ein solcher Kaltreiz ein Alarmsignal, der Körper schüttet Stresshormone aus, der Herzschlag beschleunigt sich, die Muskeln werden mehr durchblutet, das Immunsystem wird aktiviert.“

Regelmäßig angewendet könne man so auch die Empfindlichkeit gegenüber Allergenen herabsetzen. „Vorbeugen ist auf lange Sicht immer besser, als nur regulierend einzugreifen, wenn schon Symptome vorhanden sind“, kommentiert Uehleke. Das gelte für jedes Alter, auch für Kinder, die man früher genauso wie Erwachsene auf Bäderkuren geschickt habe, bis die traditionelle Form der Vorbeugung dann nach und nach weggespart wurde. Doch das Gesetz „Kleine Ursache – große Wirkung“ gilt zum Glück immer noch: „Manche der Kneipp’schen Anwendungen wie etwa den Knieguss mit kaltem Wasser kann man ganz einfach zu Hause praktizieren“, so Uehleke.

Doch was tun, wenn die Nase läuft, die Augen brennen und sich zäher Schleim in den Bronchien sammelt? Auch dann kann die Komplementärmedizin die Beschwerden lindern. „In akuten Fällen helfen etwa Zitrus-Quitte-Präparate, die in Form von Inhalationen, Nasentropfen oder Injektionen in die Unterhaut verabreicht werden können“, so Roesler. Hilfreich sei auch die Verabreichung von Bittermitteln, die den Nahrungsabbau im Magen-Darm-Trakt fördern. Manchmal hilft es auch, gar nichts zu essen: „Einige Patienten haben durch Heilfasten ihren Heuschnupfen verloren.“