: Schadenersatz für NS-Massaker
Ein italienisches Gericht bestätigt Kriegsverbrecher-Urteil gegen einen Bremer Wehrmachtssoldaten. Wegen Schadenersatzforderungen will die Bundesregierung die Entscheidung anfechten
Am Morgen des 29. Juni 1944 erstürmte die „Fallschirm-Panzer-Division 1. Hermann Göring“, eine Elitedivision der deutschen Luftwaffe, die toskanischen Dörfer Civitella, Cornia und San Pancrazio. Dabei wurden viele Häuser niedergebrannt und insgesamt 207 Zivilisten erschossen. Der Bremer Max-Josef M. gehörte zu einer Untereinheit der Fallschirmdivision, die an jenem Tag 59 BewohnerInnen des Dorfes Civitella erschossen hat. Nicht abschließend geklärt ist bislang, ob M. persönlich an den Erschießungen beteiligt war. Seine nun bestätigte Verurteilung durch ein italienisches Militärgericht aus dem Jahr 2006 stützt sich lediglich auf seine Funktion als Unteroffizier der Einheit. Mit der Aktion wollte sich die Wehrmacht für einen tödlichen Partisanenanschlag auf drei deutsche Soldaten zwei Wochen zuvor rächen. Auch die Staatsanwaltschaft Dortmund ermittelt wegen der Kriegsverbrechen seit 2002 gegen M. CJA
AUS BREMEN CHRISTIAN JAKOB
Der römische Appellationsgerichtshof hat das Urteil gegen den ehemaligen Wehrmachtsangehörigen Max-Josef M. bestätigt und eine Berufung von M. und der Bundesrepublik Deutschland zurückgewiesen. Der 85-jährige M. war vor einem Jahr vom Militärgericht La Spezia zu lebenslanger Haft verurteilt worden. M. war im Zweiten Weltkrieg zunächst Mitglied im Musikkorps „Hermann Göring“ und wurde 1943 einer Einheit zugeteilt, die die Erschießung von 59 Zivilisten im Juni 1944 in einem Dorf in der Toskana zu verantworten hat (siehe Kasten).
Der in Bremen lebende M. hatte die Beteiligung an dem Massaker bestritten und Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt. Gegen die Entscheidung des Appellationsgerichts ist eine letzte Revision beim italienischen Kassationsgericht möglich. Ob M. auch diese Instanz beschreiten wird, ist nach Angaben seiner Anwältin Barbara Kopp noch nicht entschieden.
Der Sprecher des Bundesfinanzministeriums, Stefan Olbermann, bestätigte, dass mit dem Urteil Schadenersatzforderungen nicht nur gegen M., sondern auch gegen die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolgerin der Wehrmacht verbunden sind.
Die Angaben über die Höhe der von den Hinterbliebenen der Opfer des Massakers sowie verschiedenen toskanischen Gebietskörperschaften erhobenen Ansprüche schwanken. Es dürften jedoch Forderungen von weit über einer Million Euro sowohl auf M. als auch auf die Bundesrepublik zukommen.
Das Auswärtige Amt ist der Berufung beigetreten
Das Auswärtige Amt war deshalb M.s Berufung beigetreten. Ein Außenamtssprecher kündigte gegenüber der taz an, dass die Regierung der Bundesrepublik Deutschland voraussichtlich in Revision gehen werde. „Es geht uns hierbei nicht um die strafrechtliche Dimension der Anklage gegen Herrn M. Wir sind der Klage ausschließlich deshalb beigetreten, weil wir in den Schadenersatzforderungen gegen die Bundesrepublik eine Verletzung der Staatenimmunität sehen.“
Vor drei Wochen hatten 100 AntifaschistInnen im Rahmen eines Aktionstages unter anderem auch vor dem Wohnhaus von M. gegen die „Straflosigkeit für NS-Täter“ demonstriert. M. erklärte am Abend dieses Tages in einem Fernsehinterview „keinen einzigen Menschen getötet zu haben“.
In verschiedenen Medien, darunter auch in der taz, war eine Stellungnahme von M.s Verteidigerin so wiedergegeben worden, dass der Eindruck entstand, M. sei durch die Aussage einer Partisanin entlastet worden. Diese hätte vor dem Militärgericht von La Spezia ausgesagt, M. habe sie während des Massakers am 29. Juni bewacht. Daher könne er nicht selbst an den Erschießungen beteiligt gewesen sein. Diese Darstellung ist unzutreffend – wie auch die Anwältin gegenüber der taz einräumte: „Ein solches Alibi hat sie meinem Mandanten nicht gegeben. 100 anderen Soldaten, die man ebenso gut hätte anklagen können, allerdings auch nicht.“
Bei der Partisanin handelt es sich um die heute 82-jährige Felicina Carletti, Tochter eines Gutsbesitzers aus dem toskanischen Dorf Monte San Savino, nahe Civitella. Im Mai 2004 sagte Carletti vor dem Militärgericht von La Spezia aus, in den Tagen vom 28. Juni bis zum 2. Juli 1944 von fünf ehemaligen Mitgliedern des Musikkorps als Gefangene in der Villa ihrer Eltern bewacht worden zu sein. Die Aussage liegt der taz in beglaubigter Übersetzung vor. Carletti gibt darin an, ihre Bewacher hätten sie „freundlich“ behandelt, sie habe sich sogar „mit ihnen angefreundet“.
M. will sich vier Tage in der Villa aufgehalten haben
Zudem hätten ihre Bewacher sie und ihre Mutter vor „gewalttätigen und brutalen“ anderen Soldaten beschützt, die ihre Villa als Verhörzentrum genutzt hätten. Letztlich sei ihr so das Leben gerettet worden. „Allerdings erinnere ich mich an M. nicht vom ersten Tag an, sondern erst anlässlich des Vorfalls mit dem Weinanfall. Dieser ereignete sich am 30. Juni oder 1. Juli“ – nach dem Massaker. M. habe an jenem Tag zu weinen begonnen, als er mit Carletti, der Gutsherrentochter, darüber sprach, dass „in Kürze alle Gefangenen freigelassen werden. Nur die Familie des Gutsherren würde getötet werden“. Carletti gab M. also kein Alibi. M. selbst will sich vier Tage lang in der Villa aufgehalten haben.
Seine Verteidigerin nennt es „unredlich“, nach so langer Zeit noch genaue Erinnerungen an einzelne Tage zu erwarten. „Mein Mandant ist nur angeklagt worden, weil die italienischen Behörden seinen Namen hatten. Die Anklage unterstellt einfach, dass er beteiligt war, nur weil er Angehöriger der Einheit war, die das Massaker begangen hat. Doch einen Beweis für seine Schuld gibt es nicht.“ M. sei „Mittel zum Zweck“, um dem deutschen Staat „Geld aus der Nase zu ziehen“.
Der Bremer Arbeitskreis „Keine Ruhe für NS-Kriegsverbrecher“ erklärte: „Die nach unserer Aktion begonnene öffentliche Thematisierung von M.s Fall mag eine hohe persönliche Belastung für ihn sein, aber sie ist notwendig. Eine unserer Forderungen an M. bleibt weiterhin: Er muss sich öffentlich über das genaue Geschehen äußern. M. war vor Ort, er hat an den Vorbereitungen teilgenommen, er war Mitglied der für das Massaker verantwortlichen Einheiten. Es ist seine Verpflichtung– nicht zuletzt den Opfern, den Überlebenden und den Angehörigen gegenüber – zur historischen Aufarbeitung beizutragen.“