: Zeit ist kein Geld
Olaf Georg Klein bietet allerlei Zitate von Aristoteles bis Herbert Marcuse auf, um zeitraubend die simple Bedeutung des „Hier und Jetzt“ zu erklären
Zeit haben wir stets zu wenig. Und wer auf nicht weniger als 200 Seiten vorschlagen möchte, „Zeit als Lebenskunst“ zu begreifen, ist daher zunächst mal verdächtig, uns dieselbe rauben zu wollen. Auch der Titel von Olaf Georg Kleins Buch ist nicht gerade dazu angetan, allfällige Bedenken auszuräumen, kann doch nicht Zeit, nur der Umgang mit Zeit Gegenstand einer Lebenskunst sein. Klein selbst zeigt sehr ausführlich, dass die Zeit ein menschliches Konstrukt ist, um Veränderungen zu messen. Anders als der Raum besitzt die Zeit keine eigenständige Realität. Auch daher existieren mehrere Varianten von ihr: etwa die Ereigniszeit (Kriege dauern mal länger, mal kürzer, meist länger) oder die mechanische, in stets gleiche Einheiten unterteilte Zeit unserer Uhren. Dass Zeit nicht stets gleich erlebt wird, drückte der Nobelpreisträger und Erfinder der Relativitätstheorie Albert Einstein prägnant aus: Zwei Stunden mit einer Geliebten seien relativ kurz, zwei Minuten auf einer heißen Herdplatte relativ lang.
Damit wir mit der Zeit souverän umgehen können, glaubt Klein, über „unbewusste“ Zeitmodelle aufklären zu müssen, die unser Verhalten steuern würden. Das könnten zyklische Vorstellungen sein (die Wiederkehr der Jahreszeiten, die Seelenwanderung im Hinduismus) oder auch lineare (im Judentum und Christentum strebt die Geschichte einem Ziel zu). Eile ist natürlich unsinnig, wenn die Zeit kreisförmig verläuft; vergeht sie linear, ist Eile dagegen sinnvoll. Das leuchtet unmittelbar ein, zumal sich herumgesprochen haben dürfte, dass die meisten von uns in der linearen Zeit leben: Kleins sehr ausführliche Erklärungen rennen eine Vielzahl offener Türen ein.
Auch dass Zeit nicht Geld sei, man sie weder sparen noch kaufen könne, war ja schon in Michael Endes Jugendbuch „Momo“ zu lesen. Immerhin kommt Klein dann zur Schlussfolgerung: Statt der „Eilkrankheit“ oder der „Versäumnisangst“ zu erliegen, gelte es, die Begrenztheit unseres Lebens als Glück anzusehen. Erst dann können wir zurückgewinnen, „was wir vor lauter Weltmöglichkeiten fast schon vergessen haben: die volle und ungeteilte Anwesenheit in der Gegenwart“.
Auf diesen schlichten Kern also läuft der rhetorische Aufwand bis hin zum „ideologischen Verblendungszusammenhang“ hinaus, den Klein in vielen Zeitvorstellungen sieht. Dafür also all die Zitate von Aristoteles bis Herbert Marcuse, die Klein im Plädoyer fürs „Hier und Jetzt“ mit einem tiefen Griff in die esoterische Mottenkiste verbindet: Rhythmus statt Takt, dazu Körperlichkeit, Balance, Entspannung, Achtsamkeit, Tiefendimension und nicht weiter erläuterte „Flow-Erfahrung“.
Falsch muss das alles nicht sein, neu ist es nicht, und überzeugend wird es auch durch litaneiartige Wiederholung nicht. Am Ende behauptet der Autor und Coach von Führungskräften, der souveräne Umgang mit Zeit sei ein Beitrag zu einem „emanzipatorischen Gesamtprozess“ der Gesellschaft. Da wünscht man sich dann doch, man wäre souveräner mit der Zeit für die Lektüre dieses Bandes umgegangen und hätte es früher zugeschlagen. Nur wegen der Emanzipation. JÖRG PLATH
Olaf Georg Klein: „Zeit als Lebenskunst“. Wagenbach Verlag, Berlin 2007, 208 Seiten, 18,90 Euro