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Archiv-Artikel

Wende im Schulverweigerer-Fall

Bundesverfassungsgericht hebt Bremer Gerichtsentscheid zum Fall der Familie Neubronner auf: Die Ablehnung der Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussicht war ein „Grundrechtsverstoß“

Von Klaus Wolschner

Wenige Tage vor Weihnachten hat das Bundesverfassungsgericht sich mit dem Fall der Bremer Home-Schooling-Familie Neubronner befasst – und ihre Verfassungsbeschwerde für begründet erklärt. In der jetzt veröffentlichten Entscheidung ging es um ein Urteil des Verwaltungsgerichtes, das den Schulverweigerern wegen „mangelnder Aussicht auf Erfolg“ die Prozesskostenhilfe verweigerte. Diese Entscheidung sei ein „Grundrechtsverstoß“, urteilte nun das Verfassungsgericht und verwies die Sache zurück an das Bremer Verwaltungsgericht. Das Bremer Gericht habe „die Anforderungen an die Erfolgsaussicht überspannt und den Zweck der Prozesskostenhilfe damit deutlich verfehlt“. (Az. BvR 2036/07)

Die Familie Neubronner hatte 2006 für ihre beiden Kinder einen Antrag auf Befreiung von der Schulpflicht gestellt. Als die Schulbehörde dies ablehnte, zog die Home-Schooler-Familie vors Verwaltungsgericht und beantragte mit Verweis auf das geringe Familieneinkommen Prozesskostenhilfe. Im November 2006 hat das Bremer Verwaltungsgericht die Klage nach einer mehrstündigen Anhörung der Familie abgelehnt, gleichzeitig aber die Berufung zugelassen mit Hinweis auf die „grundsätzliche Bedeutung“ des Falles. Wenn ein Gericht eine mehrstündige Anhörung für erforderlich hält und die Berufung zulässt, so argumentierten jetzt die Verfassungsrichter, dann ist ein Rechtsstreit nicht „offensichtlich aussichtslos“.

Damit ist der Rechtsweg wieder offen, aus grundsätzlichen Erwägungen wollen die Neubronners wirklich bis vors Verfassungsgericht ziehen, was ihnen ohne Prozesskostenhilfe aus finanziellen Gründen nicht möglich gewesen wäre. Dass das Bundesverfassungsgericht schon einmal über einen speziellen Fall von Home-Schooling entschieden hat, sei – anders als das Verwaltungsgericht unterstellt hatte – keine abschließende rechtliche Klärung, hat der Anwalt Matthias Westerholt zur Begründung der Verfassungsbeschwerde vorgetragen. Denn die Fälle seien sehr unterschiedlich. Im Gegensatz zu dem Fall religiös begründeter Schulverweigerung, zu dem es ein letztinstanzliches Urteil gibt, seien die Neubronner-Kinder sozial integriert und bewegten sich auch „normal“ außerhalb der Familie. Zudem habe die Schulbehörde in der Vergangenheit „den Heimunterricht überwacht“ und sich davon überzeugt, dass die Vorgaben des staatlichen Lehrplans erfüllt würden.

Nachdem die Schulbehörde im vergangenen Herbst weitere Bußgeld-Briefe geschickt hatte, haben die Neubronners allerdings ihre Drohung wahr gemacht, Bremen zu verlassen. Inzwischen sind der Vater und die beiden Kinder nicht mehr in Bremen gemeldet. Über das Netzwerk der europäischen „Home-Schooling“-Vereine hatte die Familie schon im September mehrere „Angebote“ aus Österreich und Frankreich erhalten und ihr Haus in Bremen-Nord zum Verkauf angeboten.

Interessant ist das Urteil aus Karlsruhe, weil das Verfassungsgericht die fehlende Erfolgsaussicht nicht mit dem Verweis auf das eigene frühere Urteil bestätigt hat. Unter dem Eindruck dieses Urteils wollen die Neubronners das Klageverfahren vor dem OVG Bremen fortführen. Im Rahmen der europaweiten Angleichung des Schulrechts in diesem Punkt erwarten die Neubronners, dass die deutsche Sonderreglung, die Home-Schooling bisher strikt untersagt, nicht mehr lange haltbar sein wird.