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Archiv-Artikel

DIE OBRIGKEIT IN GEORGIEN HAT GAR KEINE WAHLFÄLSCHUNGEN NÖTIG Der Betrug fand vorher statt

Michail Saakaschwili hat die Präsidentschaftswahlen nur knapp gewonnen – vielleicht muss der Amtsinhaber sogar Stichwahlen bestehen. Stellt man die Amtsvorteile in Rechnung, von denen der Wahlkämpfer mit Neujahrsgeschenken an unzufriedene Bürger exzessiven Gebrauch machte, fällt sein Ergebnis bescheiden aus. Zieht man überdies noch jene Stimmen ab, die seine verbeamteten Parteigänger in den Regionen durch Druck und soziale Kontrolle erzwangen, sowie diejenigen, die durch den ungleichen Zugang der Opposition zu den staatlichen Medien errungen wurden, so schrumpft das Resultat zu einem fragwürdigen Mandat.

Wie erwartet, reklamiert die Opposition den Sieg für sich. Sie wirft Saakaschwili Wahlfälschung vor, die von internationalen Beobachtern indes nicht eindeutig bestätigt wurde. Wahlbetrug findet in „gelenkten Demokratien“ nicht nur an der Urne und bei der Auszählung statt. Das auch, nur haben diese Mauscheleien keinen maßgeblichen Einfluss auf den Wahlausgang. Vielmehr wird im Vorfeld manipuliert. Durch gezielten Abbau von Pluralismus und bewusst geförderte Abhängigkeiten der Bürokratie und der Verwaltungschefs. Sie garantieren ihrem Dienstherrn aus Gefallsucht und Servilität die bestellten Ergebnisse. Das reicht schon.

Die Opposition protestiert wieder. Dennoch sind dem Aufruf des oppositionellen Parteienbündnisses nicht mehr so viele Demonstranten gefolgt wie noch bei den Unruhen im November, die zu den vorgezogenen Präsidentenwahlen führten. Hunderttausend wollte die Opposition gestern versammeln. Rund ein Zehntel erschien. Opposition und Anhänger Saakaschwilis, das ließ sich den Wahlen entnehmen, sind etwa gleich stark. Georgiens Zivilgesellschaft zeigt Ermüdungserscheinungen und erste Anzeichen der Apathie. Auch Einschüchterung mag mit hineinspielen. Dem muss der Westen entgegenwirken. Der nächste Test sind die Parlamentswahlen in diesem Jahr. Finden sie unter ähnlichen Bedingungen wie die Präsidentenwahlen statt, droht der Kaukasusrepublik wieder eine Zeit der Wirren. KLAUS-HELGE DONATH