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Archiv-Artikel

Im eiskalten Wartesaal eines Provinzhospitals

Natalie Tenbergs Gastro- und Gesellschaftskritik: Das Alpenstück in Berlin Mitte lässt einen von zu Hause träumen

Der Winter in Berlin ist hart. Am liebsten würde man zwischen Neujahr und dem ersten zarten Sprießen der Lindenblüten gar keinen Fuß mehr vor die Tür setzen. Es ist allein die Vorstellung vom gutem Essen, von der angenehmen Atmosphäre, ja die Vorstellung des lohnenden Ziels, die einen im Januar trotz Minusgraden und schneidendem Wind in die dunkle Stadt treibt. Bei solcher Überwindung bleiben freilich Enttäuschungen nicht aus, Lokale, in denen man dann sitzt und sich nichts sehnlicher wünscht, als schnell wieder zu Hause auf der Couch zu liegen. Das kühle Ambiente des Alpenstück in Mitte löst beispielsweise starke Fluchtreflexe aus.

Wahrscheinlich outet man sich als Mensch, der im Leben nicht um die Furnierholzschrankwand herumkommen wird, wenn man den Style des Gastraums bemängelt. Doch was wohl dem Alphornbläser und Skihüttencharme entgegengesetzt werden soll, grauer Boden, graue Wände und Verkleidungen nämlich, erinnert viel zu sehr an einen trostlosen Wartesaal in einem heruntergekommenen Provinzhospital.

Sogar der Gilb tausender gerauchter Zigaretten würde hier noch für einen freundlichen Farbeinschlag gehalten werden, aber das ist ja nun vorbei. Nichts heißt den Gast im Alpenstück willkommen. Mit Einschränkungen gilt dies auch für das Personal. Da es am reservierten Tisch zieht wie Hechtsuppe, bitten wir, umgesetzt zu werden. „Bringt nichts. Es zieht überall,“ wird uns im Vorbeigehen gesagt, bevor uns doch noch gnädigerweise ein anderer Tisch zugeteilt wird. Glücklicherweise wechseln wir so in den Bereich eines sehr viel freundlicheren Kellners und können die Küche beobachten, die ruhige, abgestimmte Arbeitsweise der Köche, die es sicher warm dort am Herd haben.

Das hervorragende Hirschragout, eines der fünf Hauptgerichte, die an diesem Abend angeboten werden, wird mit dem perfekten Kartoffelpüree und zimtigem Apfelrotkohl serviert. Dagegen enttäuscht das Wiener Schitzel von Linumer Wiesenkalb mit schwäbischen Kartoffelsalat. Das Schnitzel schmeckt so süß, als sei das Fleisch einmal tief in die letzten Krümel der letzten Weihnachtskekse getunkt und dann gebraten worden. Nichts also, was man gerne zum Kartoffelsalat oder gar überhaupt essen möchte.

Wenn man nun das nächste Mal in Versuchung geführt wird, das warme Heim zu verlassen, dann sollte man sich genau überlegen, wohin es gehen soll. Wenn die Freunde sich im Alpenstück verabreden, kann man getrost zu Hause unter der Decke bleiben.

RESTAURANT ALPENSTÜCK, Gartenstraße 9, 10115 Berlin-Mitte, (0 30) 21 75 16 46, www.alpenstueck.de, Mo–So 18–1 Uhr, 0,75 Vöslauer Still EUR 6, Vorspeisen ab EUR 7, Hauptgerichte ab EUR 14,50, Desserts ab EUR 7