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Archiv-Artikel

Das Magnetfeld der Bilder

Mal rollt ein Ball bergauf, mal bleibt ein Pilger ganz gelassen. Die Kreuzberger Galerie Kai Hoelzner präsentiert „Oregon Vortex“, eine Serie von Arbeiten der Fotografin Christina Zück

VON RONALD DÜKER

In seiner Erzählung „Sturz in den Mahlstrom“ macht Edgar Allan Poe das Überleben seines Helden von der Lösung einer Denkaufgabe abhängig. An Bord eines Bootes, das von einem Strudel in die Tiefe gerissen wird, kommt dieser Held durch eine logische Folgerung zum Schluss, dass er das Boot verlassen muss, um in der Wasserspirale nicht nach unten, sondern nach oben gezogen und zurück ins Leben gespült zu werden. Sinnfälliger Beweis und Relikt dieses Überlebenskampfes: Im traumatischen Moment wechseln die Haare des Überlebenden schlagartig ihre Farbe, von Pechschwarz zu Schlohweiß.

Einen ähnlichen Effekt beschwört die Fotografin Christina Zück, deren Ausstellung „Oregon Vortex“ zurzeit in der Kreuzberger Galerie Kai Hoelzner zu sehen ist. Oregon Vortex: so heißt ein vermeintlicher geografischer Strudel, dem paranormale Kräfte nachgesagt werden. Ein Gravitationszentrum in einer Gegend namens Gold Hill, im US-Bundesstaat Oregon, soll dafür sorgen, dass Flaschen oder Bälle bergauf rollen, sobald sie sich dem Zentrum des Magnetfeldes nähern. Von Menschen, die nahe an diesem Zentrum stehen, heißt es, dass sie kleiner wirken als solche, die sich weiter entfernt davon aufhalten. Angeblich pilgern sogar Rückenleidende hierher, weil sie sich von diesem Effekt eine Linderung ihrer Schmerzen erwarten. Das Beste an den Erzählungen der Parawissenschaftler ist, dass sie gut als literarisches Material funktionieren. Oder aber, wie nun bei Christina Zück, als eine Schule des Sehens, denn wie die sinnestäuschende Architektur seit Brunelleschi oder die Trompe-l’oeil-Malerei beweisen, ist das menschliche Auge ein unsicherer Kantonist.

Oregon Vortex, das ist für Zück eine esoterische Folie und eine Betriebsanleitung, die die Spannungsverhältnisse ihrer Bilder organisieren soll wie ein magnetisches Feld. So entsteht auch ein Zusammenhang zwischen den heterogenen Sujets, die in der Ausstellung vertreten sind: Im indischen Varanasi und Haridwar nehmen Pilger ein rituelles Bad im Ganges; jugendliche Turmspringer auf der Anlage des Berliner Olympiabades bereiten sich unter Aufsicht eines Bademeisters auf ihren Sprung vor; Fußballfans pilgern während der Weltmeisterschaft zum Stadion; in Rostock sitzen einige Autonome auf den Dixi-Klo-Kabinen, von denen sie womöglich einen Ausblick über die Wasserwerferkolonnen der Polizei haben.

Christina Zück ist eine Schülerin Thomas Struths, der seinerseits bei Bernd Becher in die Lehre gegangen ist. Sie kennt also die Kälte einer seriellen Fotografie, die sich durch die Geste des Dokumentarischen einst von der Subjektivität des Autors befreien wollte. Wenig überraschend sind also auch Zücks Arbeiten seriell organisiert. Der Zyklus „Wildlife Memories“ zeigte Tiere im Zoo, eine andere Bildfolge porträtierte nackte Menschen in freier Natur. Dabei ging es der Fotografin stets darum, den Seriencharakter durch Unregelmäßigkeiten in der Präsentation zu durchbrechen und zugleich zu akzentuieren.

So auch in der Serie Oregon Vortex, die nun aus der Bewegung heraus entstandene Bilder zeigt, wie sie sonst etwa durch fotojournalistische Verfahren produziert werden. So wenig statisch der Kamerablick, so bedeutungsschwer jeweils die Situation. Fern des Alltäglichen zeugen die Farbbilder von Transzendenzerfahrungen: Wallfahrer, Demonstranten, Fußballfans – sie alle erscheinen als Darsteller eines Größeren; eines geschichtsstiftenden Sinnzusammenhangs, durch den der fotografische Moment seiner Zeit enthoben ist.

Der Clou, das Magnetfeld dieser Bilder, liegt in der Gelassenheit, mit der sich Zücks Protagonisten ins Blickfeld der Kamera bewegen. Keine Verzückungs-, keine Schmerz- oder Jubelpose. Wüsste man nicht, dass die Inderin im türkisfarbenen Kleid eine rituelle Waschung im heiligen Fluss vornimmt, dann könnte man glauben, sie zöge noch eine Einkaufstasche hinter sich her und wäre durchs Hochwasser auf dem Weg zum nächsten Supermarkt. Zücks Bilder geben ein Rätsel auf: Wie fällt im mythischen Moment, im Augenblick der höchsten Konzentration, die Spannung ab, wie leert sich der Blick, wo das Herz voll ist?

Christina Zück: „Oregon Vortex“. Galerie Kai Hoelzner, Adalbertstr. 96, 10999 Berlin. Noch bis zum 27. Januar