: Justizsenator verzählt sich
Verpatzter Wahlkampf: Die Hamburger CDU hat einen Skandal am Hals. Jahrelang operierte sie im Kampf gegen Jugendkriminalität mit falschen Zahlen. Opposition unterstellt bewusste Täuschung und fordert Rücktritt des Justizsenators
VON ELKE SPANNER
Sieben Wochen vor der Bürgerschaftswahl hat die Hamburger CDU einen handfesten Skandal. Ausgerechnet bei der Bekämpfung der Jugendkriminalität, dem Thema, mit dem die Union 2001 an die Macht kam, ist ihre Bilanz der vergangenen Regierungsjahre wie ein Kartenhaus zusammengefallen. Die Statistik schien stets die Behauptung des CDU-Senates zu bestätigen, dass gegen jugendliche Gewalttäter nun besonders hart durchgegriffen werde: Während bundesweit nur ein Drittel aller zu Haftstrafen verurteilten Jugendlichen ins Gefängnis muss, sollten es in Hamburg 70 Prozent sein. Nun kam heraus: Die Zahlen sind falsch – ein Statistikfehler. Die Opposition wirft Justizsenator Carsten Lüdemann (CDU) eine bewusste Täuschung der Öffentlichkeit vor. Durch diese habe der Glaube an angebliche Erfolge aufrecht erhalten werden sollen.
Tatsächlich verhält es sich in Hamburg nicht anders als anderswo: Etwa 70 Prozent aller Jugendlichen, die zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden, kommen mit Bewährung davon. Nur rund ein Drittel sitzt die Strafe tatsächlich ab. Die CDU aber operierte mit umgekehrten Zahlen – und heftete sich den angeblichen Trend als Erfolg an die Brust. Denn schon im Wahlkampf 2001 hatte die Partei ein hartes Durchgreifen gegen jugendliche Gewalttäter angekündigt. Im Jahr 2004 dann löste der Senat das Bezirksjugendgericht auf, das Koalitionspartner Ronald Schill zuvor als „Kartell strafunwilliger Jugendrichter“ gegeißelt hatte.
Die Auswirkungen schienen nicht lange auf sich warten zu lassen: Im Mai 2005 freute sich der CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Hesse im Vorwort einer Senatsanfrage: „Auch Hamburgs Gerichte greifen gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden immer härter durch.“ Im März darauf jubelte er erneut: „Viele Jugendrichter haben offenbar erkannt, dass zuviel Nachgiebigkeit nicht immer der richtige Weg ist.“ Nun ist er enttäuscht. „Die Jugendrichter haben die Zeichen der Zeit also doch nicht erkannt.“ Der Kriminologieprofessor Bernhard Villmow hat der CDU den Strich durch die Rechnung gemacht.
Er deckte auf, dass die Verurteilungen von Jugendlichen seit 2002 falsch erfasst worden waren. Justizsenator Lüdemann bemüht sich nun, das Problem zum reinen Statistikfehler kleinzureden. „Bei der Umstellung auf ein neues elektronisches Erfassungssystem sind bei der Eingabe Fehler gemacht worden“, erklärte er. Auch die CDU-Fraktion wiegelt ab: Als sie im September von dem Zahlenirrtum erfuhr, so die Rechtspolitikerin Viviane Spethmann, habe sie das „nicht so dramatisch“ gefunden. „Ich hätte nicht gedacht, dass es ein Politikum ist.“
Für die Hamburger Grünen-Fraktion ist es sogar ein Grund, den Rücktritt von Lüdemann zu fordern. Denn der, sagte Grünen-Justizexperte Till Steffen, hätte schon seit Jahren wissen müssen, dass die Zahlen nicht stimmen konnten. Wäre der Anteil verbüßter Haftstrafen tatsächlich derart angestiegen, hätte das Jugendgefängnis auf der Elbinsel Hahnöfersand aus allen Nähten platzen müssen. Das tat es aber nicht. Im Gegenteil: Dort stehen immer mehr Zellen leer. Immer wieder hatten die Grünen nachgefragt, wie dieser Widerspruch zu erklären sei. Schon in Senatsanfragen 2004 und 2005 hatte Steffen auf die Unstimmigkeit hingewiesen. Beide müssen über den Schreibtisch von Lüdemann gegangen sein – er war zu der Zeit Staatsrat und damit persönlich verantwortlich für die Beantwortung kleiner Senatsanfragen. „Es ist ihm nicht aufgefallen“, sagt Justizsprecherin Kathrin Sachse dazu. Lüdemann selbst habe die Zahlen politisch nie benutzt.
Die CDU-Fraktion will den Widerspruch durchaus bemerkt haben. Aufgeklärt wurde er nie. „Ich hatte schon das ungute Gefühl, dass da irgendwas nicht ganz stimmig ist“, sagte Spethmann. Was sie deshalb unternahm? „Nichts.“ Spethmann argumentierte sogar vorigen Oktober noch mit den angeblich härteren Strafen, obwohl sie nach eigenem Bekunden seit September vom Statistikfehler wusste. „Die vorliegenden Zahlen zeigen, dass seit 2001 Straftaten von Jugendlichen verstärkt geahndet werden“, sagte sie in einem Interview.
Die Opposition hält auch Lüdemann vor, die Öffentlichkeit bewusst getäuscht zu haben. Obwohl Lüdemann spätestens seit September von der falschen Statistik wußte, habe er diese nicht öffentlich korrigiert. Dem SPD-Abgeordneten Andreas Dressel „drängt sich der Verdacht auf, dass wissentlich mit falschen Zahlen gearbeitet wurde, um dem Justizsenator Gelegenheit zu geben, sich als Hardliner zu repräsentieren“. Ebenso sieht es Till Steffen von den Grünen. Für ihn ist der Senator „nicht mehr tragbar“.
Die CDU zieht eine ganz andere Konsequenz aus dem Skandal. Da die Jugendrichter offenbar immer noch nicht hart genug durchgriffen, sagte Spethmann, fühle sie sich in ihrer Überzeugung bestätigt, „dass wir im Jugendstrafrecht die Zügel anziehen müssen“. Und Hesse ergänzt: „Ich hoffe auf ein Umdenken in der Richterschaft.“