: Online gegen Dudelfunk
Am gestrigen Freitag ging vom Hamburger Heiligengeistfeld aus das neue Internet-Radio Byte.FM auf Sendung. Es will nicht viel weniger als den Rundfunk retten und sich verstärkt dem musikalischen Nachwuchs ohne Plattenvertrag widmen
Der Aufbruch in neue Zeiten begann mit einem Relikt. Als der Musikjournalist Ruben Jonas Schnell am gestrigen Freitag um Punkt 12 die erste Platte des Internet-Radios Byte.FM laufen ließ, verkündete das Independent-Fossil Joy Division posthum ins Netz, was von nun an Programm ist, im Hamburger Medienbunker: „Radio, Live Transmission“, so sang Ian Curtis 28 Jahre nach seinem Tod und wurde somit zum singenden Paten einer kleinen Attacke auf den anhaltenden Niedergang der Rundfunkkultur im Land.
Denn wer heutzutage Radio hört, kann sich nie ganz sicher sein, welcher Sender gerade läuft. „Dudelfunk“ lautet noch die freundlichste Bezeichnung für ein Medium, dessen Konturen zunehmend im Mainstream verschwimmen. Kein Wunder, dass gerade in den Weiten des Internet nach Auswegen gesucht wird.
Und gefunden, glaubt man Ruben Jonas Schnell. Vor gut einem Jahr saß der Mittdreißiger aus Hannover im Zug, las von Hunderten offener Radiokanäle als letzten Rückzugsorten alternativer Verbreitungsmöglichkeiten im Äther und dachte spontan, „das müsste sich doch bündeln lassen“. Also rief er radiogeschädigte Kollegen zusammen, gründete eine GmbH und ging vom Heiligengeistfeld im Herzen Hamburgs aus unter der Adresse www.byte.fm bundesweit auf Sendung. Das erste „deutschlandweite Radioprogramm für Musik“, wie er betont. Gestaltet von „echten Journalisten“ zudem, nicht wie so oft im Internet von engagierten Laien, die vor allem eigene Geschmäcker promoten.
Seit gestern also liefern renommierte Radiomacher vom Hessischen Funk- Urgestein Klaus Walter über Gudrun Gut und Thomas Fehlmann von Radio Eins Berlin bis hin zu Lokalmatadoren wie Sandra Zettpunkt vom autonomen Hamburger Stadtteilkanal FSK rund um die Uhr ein Vollprogramm für anspruchsvolle Ohren, 365 Tage im Jahr. Mit dabei sind auch Jan Möller und Christoph Twickel, die vor fünf Jahren bereits eine Art Matrize von Byte.FM gedruckt hatten.
Breit aufgestellt war damals als Antwort auf die Popularisierung des Stadtmagazins Szene Hamburg gedacht und bot in Papierform, was das Team von Ruben Jonas Schnell nun online bietet: Information ganz ohne Rentabilitätsdruck, Kultur abseits ausgetretener Pfade, Ästhetik mit unverbrauchten Codes.
In diesem Sinne will Byte.FM kein durchhörbares Medley aus Charthits, Schleichwerbung und deren kreischenden Verkündern, sondern die volle Bandbreite aus gewohnten wie ungewohnten Klängen, Live-Konzerten und Wortbeiträgen, Diskussionen und Ausgehtipps.
Von der musikalischen Stildichte erinnert dies ein wenig an das soziale Netzwerk lastfm.de, wo man zwar permanent echte Musik hört, „aber eben ohne Moderation“, wie Schnell meint.
Zumal man sein Repertoire dort nur aus bereits verlegten Alben zusammenstellt. Byte.FM dagegen widmet sich verstärkt dem musikalischen Nachwuchs ohne Plattenvertrag.
Der kann dann auch gern vorbeischauen, in den rustikal möblierten Räumen über den Dächern St. Paulis und seine Sachen live einspielen. Oder gleich eigene Sendungen produzieren, egal von wo aus. „Wir wollen keine Hamburger Einrichtung werden“, beteuert Schnell. Die Formate können auch von der Alm eingespielt werden. Sofern Kinderkrankheiten wie die gestrige Überlastung des Servers in Zukunft ausbleiben.
Dann sind auch die erhofften 600.000 Zugriffe im Monat machbar. Was sich auch im Budget der Betreiber bemerkbar machen würde, denn noch finanziert sich das Projekt durch die Einlage des Gesellschafters Schnell und einem einzigen Sponsor aus dem japanischen Hifi-Segment. Neue Geldgeber aber fordern für ihr Engagement sicher hohe Zuhörerquoten.
Neun weitere Sponsoren, so rechnet Schnell vor, sollten es schon sein, um langfristig ohne Jingles und Banner auszukommen. Im Kampf gegen Heavy Rotation und Einheitsbrei. Und Ian Curtis gibt dazu bedeutungsschwanger den Takt vor: „Dance, dance, dance, dance, dance, to the radio“ singt er in „Transmission“. Es sollte wieder machbar sein.JAN FREITAG