: MIT EINER UNTERWASSERKAMERA IN DEN FLUSS GETAUCHT – ANDREAS MÜLLER-POHLE BETRACHTET DIE DONAU AUS IHRER EIGENEN PERSPEKTIVE
Besäße die Donau wie durch ein Wunder plötzlich Augen, schaute sie wohl genauso verduzt aus der Wäsche, Pardon, aus dem Wasser, auf die an ihren Ufern gelegenen Landschaften und Städte, wie wir es nun tun. Dank Andreas Müller-Pohle, der für „The Danube River Project“ (mit einem Essay von Ivaylo Ditchev. Peperoni Books, Berlin 2008, 176 Seiten, 72 Farbabb., Hardcover, 42 €) mit seiner Unterwasserkamera in den Fluss getaucht ist. Der Fotograf, Medienkünstler und Herausgeber der Zeitschrift European Photography nahm gewissermaßen die Perspektive der Donau ein und erklärte ihre Wasseroberfläche zum ersten, eigentlichen Horizont, hinter dem erst in weiter Ferne der Landschaftshorizont sichtbar wird. Ein absolut hinreißender, frischer Blick, der den Strom, der immerhin zehn Staaten durchquert und damit mehr Länder und Landschaften als jeder andere europäische Fluss, ganz unzweideutig als Interface interpretiert. Als Schnittstelle, die nicht nur zwischen Wasser und Landschaft, zwischen Natur und Kultur, sondern darüber hinaus zwischen Anwesendem und Abwesendem vermittelt und übersetzt. Denn das Wasser der Donau, das den Bildausschnitt dominiert, erinnert paradoxerweise an das, was das Bild sonst beherrscht und hier nun glücklicherweise fehlt: die bekannten pittoresken Postkartenansichten und touristischen Klischees aus dem alten und neuen Europa, das kulturell und historisch überfrachtete Bild des Kulturraums Mitteleuropa. Keineswegs wird das Abwesende also vom eigentlichen Protagonisten von Andreas Müller-Pohles Aufnahmen, dem Wasser – wie es an sich seine Art ist – verdrängt. Aber mit dem Wasser kommen eben andere Lasten zur Sprache, nämlich sein im Labor analysierter organischer Gesamtkohlenstoffgehalt, die in ihm gelösten ionischen Bestandteile, die als Leitfähigkeit gemessen werden, die Schadstoffe und organischen Verbindungen wie Nitrat, Phosphat, Kalium, Cadmium, Quecksilber und Blei. Für Andreas Müller-Pohle, der in seinem medienexperimentellen Werk Fotografie als Prozess der Kodierung, Formatierung und Umformatierung von Information untersucht, ergeben entsprechend auch die in die Fotografien eingeblendeten Resultate der Wasserproben ein Bild. Sosehr dieser alphanumerische Kode der Wissenschaft nun Distanzierungsmittel und Korrektiv des sinnlichen Wahrnehmbaren zu sein scheint: Mehr noch als die verrückte, dynamische Ästhetik des Wassers selbst, seine fetten Spritzer, gurgelnden Blasen und sanft vor sich hin schwappenden Wellen erklärt er den Fluss zum Lebewesen, sieht Andreas Mühler-Pohle in ihm doch das „Blutbild“ der Donau. BRIGITTE WERNEBURG