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Archiv-Artikel

Der überspringende Funke

Kunstlieder, Hausmusik, Pfadfindergitarren: In „Annette’s Dasch-Salon“ ging es einmal quer durch die bürgerliche Musikerziehung. Das neue Format im Radialsystem verbindet den Talk auf dem Sofa mit dem Singen am Klavier

VON TIM CASPAR BOEHME

Talkshow und Liederabend? Die Kombination klingt erst einmal wenig verlockend. Ein Mediengeplauder mit bildungsbürgerlicher Überkandideltheit obendrein? Lieber nicht. Wer am Sonntag mit derlei Befürchtungen ins Radialsystem V gekommen sein sollte, wurde angenehm enttäuscht. Denn bei der Premiere von „Annette’s Dasch-Salon“ wurde hauptsächlich und vorzüglich gesungen. Die Worte, die man zwischendurch wechselte, informierten vor allem über Musik und Interpreten.

Dass dabei keine Langeweile aufkam, war vor allem der Schlagfertigkeit der Moderatorin und Opernsängerin Annette Dasch zu verdanken. Die gebürtige Berlinerin feiert seit einigen Jahren große Erfolge im internationalen Opernbetrieb, in diesem Jahr wird sie zum zweiten Mal in einer Eröffnungsproduktion der Salzburger Festspiele singen. Bei Sony erschien im vergangenen Jahr die erste Solo-CD der Sopranistin, die immer wieder mit Anna Netrebko verglichen wird. Dass sie eine hervorragende Sängerin ist, die ihrer variablen Stimme durchaus abgründigen Ausdruck verleihen kann, stellte sie auch an diesem Abend unter Beweis.

Als Sängerin wie als Moderatorin gibt sich Annette Dasch wenig divenhaft. So wirkt es kein bisschen kokett, wenn sie im Gespräch hervorhebt, dass sie als Jugendliche bis zu ihrem ersten Auftritt „nur Doc-Martens-Schuhe“ besaß. „Ich wollte singen, aber die Vorstellung, Sängerin zu sein und mit Schals und goldbestickten Schuhen herumzulaufen, fand ich abartig“, erinnert sie sich. Statt um Glamour geht es ihr um die Sache: „Wichtig ist mir, dass man Inhalte vor Konventionen stellt.“ Auch in ihrem Musikverständnis nimmt sie auf Hörgewohnheiten wenig Rücksicht: „Die Vorstellung, dass man in ein Konzert geht, um sich zu entspannen, ist falsch.“ Als „Wohlfühl-Veranstaltung“ will sie ihr Musizieren nicht verstanden wissen. Dazu passt ihr etwas kitschig klingendes, aber völlig stimmiges musikalisches Credo, dass sie der Show als Motto voranstellte: „Wir brennen für Musik und hoffen, dass der Funke überspringt.“

Für ein derartig kompromissloses Kunstverständnis war die Premiere des „Dasch-Salons“ bemerkenswert unterhaltsam. Die Show solle keine „intellektuelle Erziehungseinrichtung“ sein, so Dasch, sondern vor allem dem Publikum Lust auf Musik machen. Die Rechnung scheint aufgegangen zu sein: Ganz gleich, ob klassische Kunstlieder gegeben wurden oder zeitgenössische Vokalakrobatik erklang, das Publikum war begeistert. Dass sie sich bei ihrem Programm an Fernsehformaten orientiert – inklusive Sofa für die Gäste –, wirkt keinesfalls aufgesetzt. „Unsere Generation von Künstlern lebt zwischen diesen Welten.“

Ältere Musikliebhaber, die von Christa Ludwig schwärmen, will sie ebenso erreichen wie ein jüngeres, eher opernfernes Publikum. In der voll besetzten großen Halle des Radialsystems dominierten noch die gesetzteren Besucher, die Musiker auf der Bühne, die allesamt beeindrucken konnten, waren dafür umso jünger. Am ungewöhnlichsten geriet das Programm der ausgezeichneten Sopranistin Mojca Erdmann mit Liedern von Claude Debussy und dem zeitgenössischen Komponisten Aribert Reimann. Mit Roman Trekel gab sich ein etablierter Opernstar die Ehre und sang Lieder aus Schuberts „Winterreise“. Dasch selbst präsentierte Werke des Engländers Benjamin Britten und von Erich Wolfgang Korngold, einem fast vergessenen deutschen Komponisten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Dass die global operierende Musikerin Dasch, die erst wenige Tage zuvor aus Tokio angereist war, überhaupt Zeit für ein so wenig lukratives Angebot hat – die Künstler erhalten keine Gage –, ist ihrer Freude am gemeinsamen Musizieren zu verdanken. In ihrer Familie war Hausmusik ganz selbstverständlich, was sie stark geprägt hat. „Dadurch entsteht eine ganz elementare Freude, die ich gern weitergeben möchte.“

Unter den musizierenden Gästen waren denn auch ihre Schwester Katrin, die sie am Flügel begleitete, und als Überraschungsgast ihr Bruder Peter, der gerade sein Konzertexamen als Sänger ablegt. Auch in Zukunft sollen Nachwuchskünstler in das Konzept einbezogen werden.

Selbst das Publikum durfte mitmachen, sei es in einem Quiz mit musikalischen Hörbeispielen oder beim gemeinsamen Singen: Am Schluss des Abends ließ Annette Dasch den ganzen Saal zu verstimmten Gitarren Pfadfinderlieder singen. Die angekündigten achtzig Minuten waren da schon lange überzogen. Im Fernsehen wäre das nicht möglich gewesen.

Die nächste Veranstaltung von „Annette’s Dasch-Salon“ findet am 20. April im Radialsystem statt